Samstag, 23. Mai 2009

Magische Momente

Der TuS Koblenz ist am Montag mit einer milden Geldstrafe davon gekommen. Ganz ehrlich, ich bin heilfroh darüber. Der Wechselfehler der Koblenzer bei ihrem 2-1 Sieg gegen uns war ganz sicher nicht spielentscheidend. Umso fader wäre der Nachgeschmack gewesen, hätte man die Pfälzer erneut mit einem Punktabzug abgestraft.
Wir erinnern uns: Letzte Saison wurden Koblenz während des laufenden Spielbetriebs sechs Zähler abduziert und ihnen obendrein noch ein saftiges Bußgeld aufgebrummt. Das Alles angeblich wegen eines lächerlichen Formfehlers im Lizenzierungsverfahren. Oder wollte man damals doch nur den großen 1.FC Kaiserslautern retten? Wie auch immer, wenigstens diesmal ist es fair abgelaufen. Dazu bringt der Koblenzer Sieg unsere Freunde von der Ostsee weiter in die Bredouille. Tja, die Hansa-Kogge hält weiterhin Kurs auf den Relegationsplatz.
Wenn ich aber mal in Ruhe nachdenke, dann bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich wirklich will, dass Rostock absteigt. Wir sind uns, so denke ich, alle einig, dass niemand den rechten Abschaum, den die Rostocker so allgemein im Schlepptau haben, in den Straßen und Kneipen unseres Viertels sehen will.
Dennoch zähle ich unseren 3-2 Erfolg im Rückspiel zweifelsohne zu den „Top-Five“ meiner persönlichen Rangliste, welche ich nachfolgend zum Besten geben möchte.
Vorab, die rezensierten Spiele waren alle geil, deshalb verzichte ich auf ein echtes Ranking und erzähle in chronologischer Reihenfolge von meinen ganz eigenen magischen Momenten mit dem FC St. Pauli.

FC St. Pauli – RW Oberhausen 1–1
(26. Mai 2000, 2.BL, 34. Spieltag 99/00)

Die Ausgangslage vor dem letzten Spieltag war klar. Wir lagen punktgleich mit dem Tabellen-Sechszehnten, den Kickers aus Stuttgart auf Rang 15. Getrennt lediglich durch einen mageren Treffer in der Tordifferenz. Die Kickers spielten in Karlsruhe und wir zu Hause gegen RWO. Also mussten wir mindestens das gleiche Ergebnis wie die Stuttgarter erzielen. Besonders brisant, da seinerzeit sowohl der KSC als auch die Kickers der Gunst desselben Mäzens unterlagen.
Irgendwann in der ersten Halbzeit fingen wir uns das 0-1. Dann schwappte die Meldung durchs Stadion, Stuttgart führe 1-0.
Da begann der Puls zum ersten Mal richtig an zu pochen. Langsam realisierte ich, dass es überhaupt nicht gut aussah. „Verdammt, diesmal erwischt es uns!“, setzte sich die ansteigende Bedrohung der Drittklassigkeit mit zunehmender Spieldauer in meinem Kopf fest. Mein Blick wurde fortwährend starrer, ich wollte mit Niemandem mehr sprechen. Dann, so Mitte der zweiten Halbzeit, der neue Zwischenstand aus Karlsruhe: 1-1! Aufkeimende Hoffnung! „Ein verschissenes Tor“, lief es wie der Nachrichtenticker auf N24 als Endlosschleife durch meinen Kopf. Abpfiff in Karlsruhe, ich musste mich am Zaun festhalten, um der Last, die auf mir ruhte, widerstehen zu können. Und dann brach die vierte Minute der Nachspielzeit an. Und dann rutschte Marin in die Hereingabe von Ivan… Jaaaaaaaaaaaaaaa!!! Ich lag mit ekstatisch zuckenden Gliedmaßen auf den Stufen der Nordkurve, den Mund zu einem undefinierbaren Schrei geformt und der Himmel über mir drehte sich!
Noch Monate später konnte jeder, der mich in meiner Abwesenheit anrief, von meinem Anrufbeantworter den DSF-Kommentator überschwänglich von der „wohl glücklichsten Rettung in der Geschichte des deutschen Fußballs“ schwadronieren hören.




1.FC Nürnberg – FC St. Pauli 1–2
(20. Mai 2001, 2.BL, 34. Spieltag 00/01)

Vor der Saison waren wir Absteiger Nr.1! Aber dann lief der braun-weiße Motor zu Hochtouren auf. 6:3 am ersten Spieltag in Ahlen, dann ein 5-0 gegen Waldhof Mannheim! So zog sich das durch, wir waren die ganze Saison oben dabei. Am vorletzten Spieltag, ausgerechnet Muttertag, hätten wir mit einem Sieg zu Hause gegen Hannover alles klar machen können. Da ich den möglichen Aufstieg logischerweise nicht verpassen wollte, bat ich also meine Mutter, meinen Besuch um eine Woche auf den nächsten Sonntag verschieben zu dürfen.
Zwei individuelle Fehler von Simon Henzler ließen uns 0-2 in Rückstand geraten, so dass es am Ende nur zu einem 2-2 reichte. Also mussten wir im letzten Spiel beim feststehenden Meister in Nürnberg gewinnen! Keine leichte Aufgabe! Dann kam der Sonntag. Über 4000 St. Paulianer im Frankenstadion und Zehntausende auf dem Heiligengeistfeld fieberten vor der Großbildleinwand mit. Ich nicht...
Ich saß, gebannt auf die Videotext-Tafel starrend, auf Mutterns Couch und lauschte dem Radio. Und so bekam ich Deniz Baris’ Kopfballbogenlampe zum entscheidenden 2-1 erst sehr viel später zu sehen. Nach dem Abpfiff tanzte ich laut krakeelend durchs Wohnzimmer, sodass ich mich heute noch wundere, dass kein Nachbar die Bullen gerufen hat.
„Fahr’ du jetzt mal bloß schnell auf den Kiez!“, nickte mir meine Mutter verständnisvoll zu: „Du bist ja heute überhaupt nicht ansprechbar!“
Gut erkannt, Mama!




FC St. Pauli – FC Bayern München 2–1
(06. Februar 2002, 1.BL, 21. Spieltag 01/02)

Dieses Spiel darf natürlich nicht fehlen, schließlich bescherte es uns in der Folge mit dem legendären „Weltpokalsiegerbesieger“ T-Shirt einen echten Verkaufsschlager.
Von der ersten Minute an ist den Bajuwaren Hören und Sehen vergangen, denen haben wir buchstäblich den Schneid abgekauft. Unbändiger Einsatz und aggressives Zweikampfverhalten ließen nicht mal ansatzweise so etwas wie Kombinationsfußball beim Weltpokalsieger entstehen. Ganz objektiv betrachtet waren Effenberg & Co mit dem 2-0 zur Pause noch sehr gut bedient. Und beinahe hätte sich die desolate Chancenauswertung noch gerächt. Nachdem wir drei Minuten vor dem Ende den Anschlusstreffer bekamen, musste Stani nochmal in höchster Not Auf der Linie klären. Das Millerntor kochte!
Dieser glanzvolle Sieg kostete die Bayern die Meisterschaft. Für uns aber folgte auf diesen grandiosen Höhepunkt der freie Fall, dessen betonharter Aufprall in der Regionalliga uns fast das Genick gebrochen hätte! Immerhin konnten wir dann gleich den nächsten textilen Klassiker, das „Retter“ T-Shirt auf den Markt werfen.




FC St. Pauli – Hertha BSC Berlin 4–3 n.V.
(21. Dezember 2005, DFB-Pokal Achtelfinale)

Eigentlich sollte man keines der Pokalspiele aus dieser Saison hervorheben. Genau genommen hätte jedes für sich einen Platz in dieser Rangliste verdient. Ob nun Burghausen, Bochum, Berlin, Bremen oder Bayern, diese Spiele waren alle hammergeil! Für mich hat die Dramaturgie des Spielverlaufs den Ausschlag gegeben, über das Achtelfinale gegen Hertha zu referieren.
Ein Großteil dieser Saison verbrachte ich von Job wegen in England. Wie zu jedem Heimspiel war ich eigens eingeflogen, um die Boys in Brown auf ihrem Weg nach Berlin zu unterstützen.
Schnell stand es 0-2. „Aus der Traum!“, so dachte ich zumindest, bis kurz vor dem Halbzeitpfiff der Anschlusstreffer durch Mazingu fiel.
Wie verabredet kam die Mannschaft dann tatsächlich fünf Minuten früher aus der Kabine. 20.000 Kehlen sangen mit 20.000 empor gereckten Schals in den Händen „You’ll never walk alone“ – Mehr Gänsehaut geht nicht!
In der zweiten Halbzeit bekamen wir die Herthaner zunehmend besser im Griff, allerdings lief die Uhr ohne Erbarmen gegen uns. Dann war es wiederum kurz vor Abpfiff der zweiten Halbzeit, als Beau Felix zum 2-2 einnetzte. In der ersten Hälfte der Verlängerung kam dann der große Auftritt von Marcelhino. Genauso, wie man es Sonnabend für Sonnabend in der Sportschau bewundern konnte, hämmerte der Brasilianer einen Freistoß aus gut 30 Metern in die Maschen. Das war’s dann wohl endgültig, schön gefightet Jungs! Und schon wieder lag ich falsch. Abermals kurz vor dem Halbzeitpfiff, diesmal der Verlängerung, schepperte es erneut im Kasten der Hauptstädter, Lelle mit einem Gewaltschuss zum 3-3! Wahnsinn! Als sich Alle bereits mental auf das anstehende Elfer-Pieken vorbereiteten, schädelte, natürlich wieder kurz vor Ultimo, Robert Palikuca zum 4-3 ein.
Der Rest war ein ungezügelter Jubelsturm.
„Pokalfinale, Pokalfinale, wir fahren jedes Jahr zum Pokalfinale!“




FC St. Pauli – FC Hansa Rostock 3–2
(06. März 2009, 2.BL, 23. Spieltag 08/09)

An diesem denkwürdigen Freitag hatte ich vorsorglich Urlaub eingereicht. Auf der Arbeit wäre ich sowieso zu Nichts zu gebrauchen gewesen.
Was ist im Vorfeld nicht alles an Panik gemacht worden? Von ostweiter Mobilmachung inklusive der Anreise polnischer Nazi-Hooligans war die Rede. Am Spieltag war die Spannung im ganzen Viertel spürbar. Die Luft brannte, der Körper war schon Stunden vor dem Anpfiff bis zum Anschlag mit Adrenalin vollgepumpt. Möget ihr mir „Political Incorrectness“ vorwerfen, aber ich liebe diese aggressive Stimmung im Vorwege von Fußballspielen!
Die geile Choreo im Stadion gab mir dann noch mal einen Extra-Kick! Spätestens nach acht Minuten stellte sich dann allerdings abrupt Ernüchterung ein. 0-2! Aufgrund des Feuerwerks im Rostocker Block habe ich in der Halbzeit insgeheim sogar auf einen Spielabbruch gehofft. Ein Sieg am grünen Tisch gegen den braunen Pöbel war zu diesem Zeitpunkt das Größte, was ich mir hätte vorstellen konnte. Tja, und dann kam diese fulminante zweite Spielhälfte mit dem fantastischen Tor von Sako und Hoiletts Doppelpack! Dann war Schluss! Die Emotionen auf das niedrigste menschliche Niveau reduziert, wurden die Rosrocker säckeweise mit Häme überschüttet. Was für ein erhabenes Gefühl!




Mal Hand aufs Herz, sind es nicht eben diese Spiele, die den Fußball zu dem machen, was er ist? Die Begegnungen, die man schon Ewigkeiten im Voraus herbeisehnt und bei denen sich die Anspannung Tag für Tag kontinuierlich steigert? Spiele, vor denen man an nichts Anderes mehr denken kann, vor denen man vor lauter Aufregung bereits eine Woche vorher kaum noch Etwas isst und trotzdem mindestens dreimal täglich kacken geht?

Sollte Paderborn die Relegationsspiele für sich entscheiden und damit die Kogge wirklich dem Untergang weihen, wage ich zu prophezeien, dass es die Spiele gegen die Ostwestphalen nicht einmal in die „Top-50“ meiner magischen Momente schaffen werden.



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