Sonntag, 3. Mai 2009

Quo vadis Sankt Pauli?

Allen, die heute die Reise zum Auswärtsspiel mit dem Bus antreten, sei noch ein kleiner Tipp mit auf den Weg gegeben. Schaut vor dem Aufbruch dem Fahrer ganz genau über die Schulter. Auf dem Display des Navis muss „Ahlen“ als Zielort stehen. Elementarer Bedeutung sei hier dem zweiten Buchstaben, dem „H“, beigemessen. Spätestens allerdings, wenn die Fahrt länger als vier Stunden dauert, solltet ihr misstrauisch werden.
Vor ein paar Jahren haben sich mal zehn Fan-Busse des 1. FC Nürnberg in Aalen verirrt, als der Club in Ahlen kicken musste. Laut Map24.de liegen satte 467 Kilometer zwischen Ahlen und Aalen. Solltet ihr also auf dem falschen Dampfer unterwegs sein, ist der Zug buchstäblich abgefahren. Dann gibt’s garantiert keine Chance mehr, den Fauxpas bis zum Anpfiff wieder auszubügeln.

Ach ja, wo wir gerade bei Verirrungen sind, am Donnerstagabend, der Nacht zum 1. Mai also, habe ich mich seit langem mal wieder dazu hinreißen lassen, mit ein paar Freunden in der Schanze das ein oder andere Bier zu nehmen. Ganz ehrlich, ich war erschrocken, wie viele Gewalttouristen sich dort verlaufen hatten. Was sich dort in abgespielt hat, finde ich gelinde gesagt schockierend. Ihr glaubt, ich spreche von den paar Autonomen, die sich an der Glasfront der Haspa und einiger andere ungeliebter Läden zu schaffen gemacht haben?



Mitnichten! Die paar Scheiben sind ruck zuck ausgetauscht und die Versicherung sorgt für die Regulierung. Eine Zerstörung in ganz anderen Dimensionen geht zurzeit immer rasanter von statten. Sämtliche in den letzten Jahrzehnten gewachsenen sozialen Strukturen werden mir nichts, dir nichts mittels unkontrollierter Kommerzialisierung zerbrochen. Und da befürchte ich, dass das nicht so leicht zu reparieren ist, wie eine geborstene Fensterscheibe.
Die Gewalttouristen, von denen ich spreche tragen Designerklamotten, haben gegeltes Haar und sind in bester Partylaune. Ihre Waffe ist nicht der Pflasterstein, sondern ihre fette Brieftasche, die sie fleißig in langen Schlangen vor den drei Geldautomaten der Haspa aufzufüllen suchen. Die Heerscharen amüsierfreudiger Yuppies machen das Viertel attraktiv für hippe Cocktailbarbetreiber. Internationale Ketten, wie Mc Dreck oder H&M, aber auch schicke und sündhaft teure Boutiquen und Handy-Läden sorgen dafür, dass die Konsumterroristen sich mittlerweile auch schon tagsüber in unserem Viertel herumtreiben.



Was, die Versicherung hat den Vertrag gekündigt, weil ihr permanent einen Schadensfall wegen Vandalismus habt?
Naja, trotzdem seid ihr ja noch da. Insofern scheint sich das Geschäft ja immer noch zu rentieren.
Besonders erschreckend ist dabei, mit welcher Brutalität die Finanzhaie vorgehen. Da werden nach der Übernahme Ladenmieten mal eben verdreifacht.
Gerüchten zufolge kaufen Vertreter großer Labels gezielt Mietverträge inhabergeführter Läden auf und platzieren so unauffällig ihre Produkte. Da wird es langsam schwer zu beurteilen, wer einen Stein in der Scheibe verdient hat und wer nicht.

Was das alles mit Fußball zu tun hat, fragt ihr euch? Nun, ich kann mich seit einiger Zeit dem Gefühl nicht erwehren, dass es auch wieder angesagter geworden ist, zum FC St. Pauli zu gehen. Wer ganz insidermäßig drauf ist, nimmt nach dem Spiel sogar noch ein Bier im Jolly Roger. Kaum zu fassen, was da an Spieltagen los ist. Klar gönne ich der Kneipe den Umsatz. Es geht mir aber ganz gehörig auf den Sack, wenn ich auf dem Weg zum Klo, der dreimal solange dauert, wie üblich, Gesprächsfragmente wie das folgende auffangen muss:

Besuffski 1: Aller, hast du etwa was gegen Schwule?
Besuffski 2: Nee, ganz im Gegenteil, ich bin für alles offen!
Besuffski 1: Na, dann dreh dich mal um, Aller!

Besuffski 2 dreht sich grinsend um, und Besuffski 1 beginnt Stoßbewegungen zu vollführen.


Ihr habt Recht, eigentlich hätte ich was sagen müssen. Aber ich hatte in diesem Moment wirklich keinen Bock auf dummes Gelaber. Stattdessen wollte ich an die frische Luft, um mal kurz durchzuatmen und das eben Gehörte zu verdauen. Der Weg vorbei am Tresen gestaltete sich jedoch aufgrund der Menschenmassen schwieriger als erwartet. Mittlerweile richtig genervt schob mich die Menge vor und zurück, als mir eine junge Dame, weder ihre Attitüde, noch ihr Outfit ließen darauf schließen, dass sie Stammgast ist, von hinten auf die Schulter tippte.

Junge Dame: Ey, du da, geh doch mal weiter!
Olli: (noch freundlich) Wohin denn? Du siehst doch, dass hier im Moment nix geht!
Junge Dame: (deutet mit dem Zeigefinger Richtung Toilette) Am besten da hin!
Olli: (jetzt bestimmter) Wenn du dann schneller draußen bist und mir hoch und heilig versprichst, nie wieder reinzukommen, dann mach‘ ich das sogar!


Allerdings scheint diese kleine Anekdote Kinderkacke im Vergleich zu dem zu sein, was sich vermehrt über die Schicklichkeit einiger, tja wie soll ich sie eigentlich nennen, „Fans“?, bei Auswärtsfahrten lesen und hören lässt.

Leute, wacht endlich auf, es geht um sämtliche Werte und Ideale, die wir uns in den letzten 25 Jahren mühsam erkämpft haben. Das lassen wir uns nicht einfach so kaputt machen! Da werden wir uns wehren!

Auch, wenn dieser Sportsfreund dabei wahrscheinlich keine große Hilfe sein wird:


Quelle: Der Übersteiger

Dieser Event-Tourist ist kurzzeitig nicht in der Lage,
homophobe Sprüche vom Stapel zu lassen.




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