Mittwoch, 24. Februar 2010

Hundert Tage tot

Wie sich am 10. November 2009
die Welt veränderte

Diesmal mit Mathes im ÜBERSTEIGER #98

Wer erinnert sich nicht noch an die bewegenden Bilder, als sich Mitte November letzten Jahres vor 35.000 trauernden Menschen im Niedersachsen-Stadion das „Who is Who“ der Fußball-Society in tiefer Bestürzung übte? Nur fünf Tage zuvor, am 10. November, hatte der Keeper der deutschen Nationalmannschaft, Robert Enke, an einem unbeschrankten Bahnübergang seinem Leben ein jähes Ende gesetzt.

Schließlich gab es seit dem Tod des Führers kein solches Brimborium um den Suizid eines psychisch kranken Menschen. Mit überschwänglichem Pathos wurde von allen Seiten für ein menschlicheres Miteinander, mehr Rücksicht und Verständnis für die Schwachen der Gesellschaft geworben.

Am 19. Februar waren es exakt hundert Tage, die seit dem Drama vergangen sind. Zeit also, für eine Nachbetrachtung, ob von den Gelöbnissen jener Tage mehr als bloße Lippenbekenntnisse geblieben sind.

Als stetes Mahnmal wehte fortan ein überdimensionales Robert-Enke-Trikot im Hannoveraner Stadion. Da Fußballer aber gemeinhin zum Aberglauben neigen und die Mannschaft in den darauffolgenden sechs Partien nur ein mageres Pünktchen eroberte, musste das Symbol wieder weichen. Wie unbarmherzig das Schicksal zuschlagen kann, zeigte der Umstand, dass das anschließende Trauerspiel gegen die bis dato notorisch erfolglose Hertha trotz dieser drastischen Maßnahme mit 0-3 verloren ging. Was blieb den bemitleidenswerten Verantwortlichen um Hörgerätehersteller Martin Kind und Sportdirektor Jörg Schmadtke da noch anderes übrig, als mit dem als zu weich geltenden Andreas Bergmann den achten Trainer in zehn Jahren zu feuern? In solch stürmischen Zeiten braucht man halt einen Mann, der genau weiß, was zu tun ist. So verkündete der neue Übungsleiter Mirko Slomka* forsch: „Ich kann nicht Trainer und Psychologe sein. (…) Ich bin menschlich und erreichbar, aber es ist dennoch notwendig, eiskalt zu sein.“

Nebenbei bewiesen Hannovers Fans mit dem deutlichen Appell, in Zukunft einen respektvolleren Umgang mit dem niedersächsischen Rivalen Eintracht Braunschweig zu pflegen, ebenfalls außerordentliches Feingefühl. Beim Spiel gegen Berlin prangte an selber Stelle, die eben noch Enkes Trikot zierte, ein Banner mit der Aufschrift "Tod und Hass dem BTSV“.

Auch die Presse, allen voran „Bild“, gelobte die Benotung von Spielern doch zu überdenken. Bei extremen Noten werde das Blatt zukünftig vorsichtiger sein, versprach der stellvertretende Chef Walter Straten. Dass solche Aussagen bei der „Bild“ eine geringere Halbwertzeit haben als ein Vollbier auf einer Auswärtsfahrt, bewies man dann gleich zum Rückrundenstart mit der Benotung des Teams von Hannover 96: Fromlowitz 6, Cherundulo 6, Eggiman 6, usw. Die ganze Mannschaft bekam mal gleich die „6“ verpasst. Soviel zur angekündigten Umsicht. Nebenbei schrieb „Bild“ auch nur noch von den "Roten Vollversagern" und setzte das Wort "Mannschaft" konsequent in Anführungszeichen.

Nach Enkes Tod und der fast schon peinlichen Glorifizierung durch die Medien herrschte allerorten kollektive Ergriffenheit und man war sich einig, dass Leistung nicht alles sein könne und dass das Menschliche wieder in den Vordergrund rücken müsse.

Nun werden die Schwarzmaler unter euch Lesern vermutlich entgegenhalten, es sei von vornherein klar gewesen, dass diese Betroffenheit nur von kurzer Dauer sein konnte. Zu schnelllebig sei unsere Zeit, in zu kurzen Intervallen brächen die Katastrophenmeldungen über uns herein, als das allein der Tod eines läppischen Fußballstars das System in Wanken brächte.

Demzufolge ist hundert Tage nach der Tragödie also wieder alles beim Alten und der Fall Enke birgt keinerlei Nachhaltigkeit? Nun, ganz so ist es dann doch nicht. Immerhin die Depressiven selbst zeigen seither mehr Mut und Entschlossenheit denn je. So hat sich laut Statistik der Deutschen Bahn die Anzahl der Freitodsuchenden auf den Gleisen verdreifacht. Diese beachtliche Zahl ließe sich mit Sicherheit optimieren, lieferte Deutschlands größte Boulevard-Zeitung als besonderen Service für die bekanntermaßen lethargischen Patienten gleich die Zugfahrpläne neben der Benotung mit.


Hannover till I die!

Darüber würde sich wahrscheinlich auch ein findiges Bestattungsinstitut im Hamburger Stadtteil Ottensen freuen, das sich ad hoc auf die neue Marktsituation eingestellt hat. Das Unternehmen bietet schicke Urnen, sowohl für den mutlosen Profi, als auch für den resignierten Amateur an.


*Slomka stellte den Rekord für den schlechtesten Trainerstart aller Zeiten durch die sechste Niederlage in Folge ein. Noch teilt er sich diese ’Ehre’ mit fünf anderen Trainern. Verlieren die ‚96er‘ auch im Breisgau, hätte Slomka einen Weg in die Geschichtsbücher gefunden, auf den er vermutlich wird verzichten können.

Olli & Mathes




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Don’t forget the Joker!

Wie an jedem Spieltag habe ich auch am Montagmorgen meinen Kaffee standesgemäß aus meiner Liverpool-Tasse getrunken. Die erste Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Spiel war also erfüllt. Abends im Jolly stand ich dann, wie bei allen erfolgreichen Auswärtspartien (Aachen, Karlsruhe, Frankfurt, Oberhausen) in dieser Saison hinter meinem Übersteiger-Redaktionskollegen St. Emmen. In Rostock waren wir in gleicher Formation sogar vor Ort. Was sollte also an diesem Abend schon schief gehen? Somit ermutigte ich St. Emmen dann auch keine falsche Bescheidenheit an den Tag zu legen, als er mir vor dem Anpfiff hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte, dass er heute schon mit einem Unentschieden zufrieden sei. Normalerweise versuchen wir, während des Spiels mehr Astra-Flaschen zu leeren, als unser Team Tore schießt. Tja, da sind wir diesmal wohl mächtig in Vorleistung gegangen!

Nach dem Spiel blieb uns dann nichts anderes übrig, als dicke Backen zu machen und uns ratlos am Sack Kopf zu kratzen. Ein paar Fragen stehen seither bei mir unbeantwortet im Raume:

- Warum hatten alle außer Naki die Hosen voll?

- Wieso bekleidet Bruns dauernd die 6er-Position, wo er doch seine erfolgreichsten Spiele auf der Außenbahn bestritten hat?

- Was ist eigentlich mit Dennis Daube, den ich viel lieber neben Lehmann sehen würde?

- Weshalb scheint bei „Sir Charles“ seit seiner Verletzung sowohl die physische als auch die geistige Frische zu fehlen? Ist vielleicht das obere Zweitliga-Drittel ein Level zu hoch für ihn?


Gut, dass ich kein Trainer bin und mich um die Beantwortung dieser Fragen nicht zu scheren brauche. Aber natürlich mache ich mir dennoch so meine Gedanken. Und da ging mir plötzlich ein Licht auf.

Was uns im bisherigen Saisonverlauf so stark gemacht hat, war die Option, in der zweiten Halbzeit gegebenenfalls noch zulegen zu können. Zwar ist es schön, dass es Naki und Hennings in die Startformation geschafft haben, auf der anderen Seite fehlt jetzt natürlich die Möglichkeit bei Bedarf nachlegen zu können. Zumal gegen Lautern mit der frühen Verletzung von Hennings auch Kruse eher als geplant in die Schlacht geworfen wurde und als Alternative für den zweiten Durchgang wegfiel. Und Sukuta-Pasu braucht nach seiner Nummer mit der 19 (nein, nicht klicken!) einfach noch Zeit.

Um es mal ganz simpel mit Lemmys Worten aus dem Song „Ace of Spades“ zu sagen:

„Don’t forget the Joker!“


Ansonsten droht bereits am Sonntag gegen den Verein aus der Stadt, die es nicht gibt, der Absturz auf Rang drei.



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Donnerstag, 18. Februar 2010

Hartes Brot

Wenn Bundesliga-Profis es mal so richtig krachen lassen, wenn sie sich bis zur Oberkante der Unterlippe volllaufen lassen, anschließend eine zünftige Kneipenschlägerei anzetteln, mit Tempo 240 über die Autobahn brettern oder sich öffentlich abfällig über ihren Arbeitgeber äußern (→ „Who the fuck is Hansa Rostock?“), dann zieht das vereinsintern eine empfindliche Strafe nach sich, wie es im Jargon heißt. In der Regel bedeutet das einen Lohnabzug im fünfstelligen Bereich, vor Steuer versteht sich.

Wie heftig das die armen Stars wirklich trifft, zeigt untenstehende Verdienstabrechnung Yildiray Bastürks vom August 2005, die mir auf dunklen und undurchsichtigen Kanälen zugespielt wurde.*

Speziell, wenn man bedenkt, dass einem „normalen“ Arbeitnehmer die fristlose Kündigung droht, sobald er sich betriebsschädigend artikuliert, ist das wahrlich ein hartes Brot!


* Da das Ding als Ketten-Email durch das Netz geistert, kann ich natürlich nicht für die Echtheit des Dokuments garantieren. Für die Authentizität spricht allerdings das relativ alte Datum. Bei einer Fälschung wäre eine aktueller Datierung wohl spektakulärer gewesen.



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Samstag, 13. Februar 2010

Mein schönstes Pausenerlebnis

Irgendwie blutleer erschien mir Auftritt unserer Mannschaft am gestrigen Abend. Auch wenn es die ein oder andere Chance gab und wir mit ein wenig Fortune alle drei Zähler hätten hierbehalten können, waren die Offensivbemühungen für meinen Geschmack insgesamt doch etwas dünn gesät.

Zugegebenermaßen hat sich einmal mehr der Platz in einem katastrophalen Zustand präsentiert, was dem braun-weißen Fußballzauber sicherlich nicht förderlich ist. Klar haben unsere hessischen Gäste aus den Niederungen der Tabelle eine starke Defensivleistung angeboten und damit ein Exempel statuiert, wie man mit Geschick und etwas Glück am Millerntor bestehen kann. Spätestens als die Frankfurter in der zweiten Hälfte selbst bei Eckbällen mit höchstens vier Spielern die eigene Hälfte verließen, war endgültig klar, dass sie sich von sämtlichen Siegambitionen verabschiedet hatten.

Natürlich kann so ein blödes 0-0 immer mal passieren, und es ist sicherlich kein Beinbruch, zumal wir uns zumindest bis Montag trotzdem an der Tabellenspitze sonnen dürfen. In Anbetracht der kommenden schweren Aufgaben war es vielleicht auch ein Dämpfer zum richtigen Zeitpunkt (→ Aufwachen!). Trotzdem bin ich latent unzufrieden und das liegt nicht zuletzt daran, dass damit meine Aufstiegsrechnung von letzter Woche bereits hinfällig ist.


“Wieso hat uns keiner vorm Abpiff gesteckt,
dass wir selbst ein Ding machen müssen?“

Foto: Stefan Groenveld
Bevor ich jetzt aber anfange, mich richtig auszukotzen, ziehe ich es vor, euch von einem lustigen Halbzeiterlebnis erzählen.

So machte ich mich wie gewohnt mit dem Pausenpfiff auf, das in meiner Blase aufgestaute Bier zu entsorgen. Dafür suchte ich meinen Stammpisscontainer hinter der Gegengeraden auf. Was wohl könnte das Schlimmste sein, was einem an diesem Ort passieren könnte? Abgesehen davon, dass man auf dem schmierigen Boden das Gleichgewicht verlieren könnte und komplett in der Gemeinschaftsrinne landet, ist es wohl das, was meinem Nachbarn widerfuhr. Während ich also das wohlige Gefühl der zunehmenden Erleichterung genoss, fing der Typ neben mir laut an zu fluchen. Da war ihm doch tatsächlich sein Handschuh aus der Jackentasche geglitten und wogte nun lustig im Urinstrom auf und ab. Statt aber den zweiten Handwärmer einfach hinterher zu werfen und damit den Verlust zu akzeptieren, fischte der arme Kerl unter diversen Mitleidsbekundungen seinen Handschuh mit Daumen und Zeigefinger aus dem Urinal. Dann verließ er den Container mit den Worten: „Den lege ich erstmal irgendwo zum Trocknen hin!“

Alter, bei den Temperaturen hast du den allenfalls irgendwo zum Einfrieren hingelegt!



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