Donnerstag, 5. November 2009

Man hätte sich nicht beschweren können


Rostock? Fand ich gut!

Am Montag war es mal wieder so weit, Rostock stand auf dem Plan. Gegen 14:30 Uhr traf ich mich am Altonaer Bahnhof mit meiner diestägigen Bezugsgruppe. Und nicht zum letzten mal hieß es am heutigen Tage: Warten! Der rote Sonderzug fuhr erst mit einer halbstündigen Verspätung ab. Obwohl es im Zug angeblich für jeden einen Sitzplatz hätte geben sollen, ging ich diesbezüglich erstmal leer aus. Das lag wohl auch daran, dass gefälschte(!) Fahrkarten im Umlauf waren. Wie hohl muss man eigentlich sein, den Fanladen zu bescheißen?

Aber trotz Stehplatz gestaltete sich die Zugfahrt außerordentlich kurzweilig, denn meine Reisegruppe machte ordentlich Ramtamtam. Deshalb gibt’s an dieser Stelle erst einmal einen musikalischen Gruß.

Fand ich gut!


Ab Bad Kleinen dann waren sämtliche Bahnhöfe von der Polizei hermetisch abgesperrt. Trotzdem flogen zwischen Rostock Hauptbahnhof und Parkstraße ein paar Steine gegen unseren Zug und dabei ist dann auch mindestens eine Scheibe zu Bruch gegangen.

Am Bahnhof Parkstraße war von den Rostockern weit und breit nichts zu sehen. Die Polizeischeinwerfer tauchten den leeren Bahnsteig, mal abgesehen von einigen Bullen im Gleisbett war außer uns niemand da, in ein gespenstisches Licht. Allerdings legte sich meine anfängliche Anspannung rasch, denn es war mal wieder Beine in den Bauch stehen angesagt. Unsere Verspätung in Altona hatte aber die positive Konsequenz, dass wir diesmal nicht allzu lange auf den zweiten Zug warten mussten.

Wie auch im restlichen Verlauf des Abends ging das Konzept der strikten Fantrennung auf dem Weg zum Stadion komplett auf. Obwohl bereits hier das ein oder andere Bengalo brannte und ein paar Knaller explodierten, bewahrten die Bullen die Ruhe und griffen nicht ein. Das habe ich in der Vergangenheit in vergleichbaren Situationen wahrlich schon anders erlebt und man hätte sich über ein rigoroseres Einschreiten nicht beschweren können. So verhinderte die Exekutive eine frühere Eskalation, und das war gut so!


Der Marsch zum Stadion
Foto: Stefan Groenveld
Am Stadion angekommen hieß es mal wieder, ihr ahnt es, warten. Nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde nahm sich dann endlich ein Ordner meiner an und filzte mich so gründlich, wie ich es mir zuvor mein Lebtag noch nicht widerfahren ist. Umso verwunderlicher, was es trotzdem alles an Pyrotechnik in den Gästeblock schaffte. Aber dazu später mehr.

Was es dann im Stadion an Obszönitäten zu bestaunen gab, seht ihr hier.

Das ganze gipfelte in einer an „Geschmacklosigkeit nicht zu toppende Anspielung auf den in Aachen verunglückten St. Pauli-Fan“, wie eine Hamburger Boulevard Zeitung am folgenden Tage schrieb. Fast richtig, es sei denn, man zeigt das Foto des leblosen Körpers auf der Titelseite, um die Auflage zu steigern und die Sensationslust einiger Perverser zu befriedigen.

Zum sportlichen Teil auf dem Rasen gibt es in der ersten Halbzeit eigentlich nicht viel zu sagen. In einer zerfahrenen Partie, bei der man einen Einwurf in der gegnerischen Hälfte schon als Erfolg werten musste, hatte Hansa mit einem Lattenkracher und zwei knapp am Tor vorbeirauschenden Bällen noch die weitaus besseren Chancen. Auf der anderen Seite vergab Bruns, allein vor Keeper Walke, kläglich. Und so hätte man sich abermals nicht beschweren können, hätte es zur Halbzeit bereits 2-0 für die Gastgeber gestanden.

Im zweiten Spielabschnitt blieb es bis zum Freistoß in der 76. Minute beim gleichen Bild. „Jetzt ein schöner Freistoßtrick und dann wichst Lehmann das Ding rein“, raunte ich meinem Nachbarn noch zu, als die Kugel auch schon im Giebel einschlug.

Jaaaaaa! Jetzt gab’s kein Halten mehr, der Block explodierte, die Luft brannte!

Zugegebenermaßen stehe ich persönlich aus atmosphärischen Gründen auf Bengalos und halte das Verletzungsrisiko für vertretbar, solange die Dinger auf dem Boden bleiben. Aber das ist nur meine Meinung. Faktisch sind und bleiben Bengalos verboten und führen in der Regel zur Bestrafung unseres Vereins. Da wird man als Fan auch mit den besten Argumenten immer den Kürzeren ziehen. Überhaupt keine Diskussion darf es indes über das Werfen von Vogelschreck in eine Menschenansammlung geben. Wie die verletzte Ordnerin zeigt, wird es eben nicht zwingend schon die Richtigen treffen. Dabei ist ein Knalltrauma noch eine der harmloseren Verletzungen, die diese Vollidioten dabei in Kauf nehmen. Weiterhin hätte spätestens diese Aktion die Bullen berechtigt, den Block zu stürmen. Da hätte sich niemand beschweren können.

Wenn man diesem Vorfall überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, dann ist es die Erkenntnis, dass im Gegensatz zu den Geschehnissen in Bremen wenigstens der Selbstregulierungsprozess im Block zu funktionieren schien.

Wahrscheinlich hätten sich die Gemüter im Stadion einigermaßen beruhigt, hätte anschließend nicht Deniz Naki zu seiner großen Performance angesetzt. Nachdem er die Kogge durch seinen Treffer zum 2-0 endgültig versenkt hatte, ließ er sich zu der viel diskutierten Halsabschneider-Geste hinreißen. Mein Gott, der Junge ist gerade mal 20 und eben sehr heißblütig. Sicher ist das Ganze grenzwertig, aber drei Spiele Sperre für ein Vergehen, für das Gerald Asamoah vor zwei Jahren leer ausging, finde ich doch ein bisschen zu hart.

Geradezu lächerlich mutet es an, die Geschichte als „eine der schlimmsten Entgleisungen in der Geschichte des deutschen Fußballs“ zu bezeichnen und Naki indirekt für die anschließende Randale des Rostocker Pöbels verantwortlich zu machen. Seit wann liegt es überhaupt im Aufgabenfeld der GdP als Chefankläger für Sportvergehen aufzutreten? Kümmert euch gefälligst um eure eigene Scheiße! Sorry, das musste mal raus.

Manch einer mag mir jetzt Political Incorrectness vorwerfen, aber nach dem Abpfiff die Flagge in das eroberte Territorium zu rammen, fand ich einfach nur weltklasse!


Beim Verlassen des Stadion unkte noch jemand, dass es jetzt ja deutlich schneller ginge als beim Einlass. Pustekuchen! Am ersten Zaun war Schluss. Es hieß mal wieder…

…Warten!

Diesmal dauerte es über ein Stunde, bis die Staatsmacht den Weg zum Bahnhof vom Rostocker Abschaum gesäubert hatte und wir uns endlich auf den Heimweg machen konnten. Bei Regen und mit einer Niederlage im Gepäck wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes angepisst gewesen. So aber will ich mich mal nicht beschweren.

Und dann war da auf der Rückfahrt noch die Schwäbin im kompletten Totenkopf-Outfit (Käppi, Schal, Sweater) in meinem Abteil, die mich fragte:

„Ach, gehscht am Donnerschtag zu Schältick?“

Klar gehe ich heute zu Celtic und morgen zu Düsseldorf und egal was auch passieren mag, richtig schlecht kann diese Woche gar nicht mehr werden.

Rostock? Fand ich gut!




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