Samstag, 11. September 2010

Der Übersteiger präsentiert in seiner JUBILÄUMSAUSGABE #100




Nicht zuletzt der Poll aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt: Ein nicht mehr zu vernachlässigendes Segment der Leserschaft des Übersteigers ist männlich und hat bereits ein Alter erreicht, welches gemeinhin als das Beste bezeichnet wird. Da kann man hin und her diskutieren, die Jugend erreicht das weltbeste Fanzine kaum noch. Davor will und kann auch ich meine Augen nicht verschließen. Wieso also sollen wir wilde Konzerte rezensieren oder den Support im Gästeblock bei der letzten Auswärtstour abfeiern, wenn den durchschnittlichen Leser zunehmend ganz andere Themen beschäftigen?
Deshalb wage ich es diesmal, an einem Tabu zu kratzen. Es geht um ein Leiden, dass viele von uns betrifft, über das aber allenfalls im Verborgenen gesprochen wird. Es geht um das schleichende Einsetzten der Inkontinenz! Wer nun behauptet diese Angelegenheit beträfe ihn nicht, und er hätte noch reichlich Atü auf dem Schlauch, der wird dieser Illusion spätestens dann beraubt, wenn er an einem heißen Sommertag nach dem Urinieren resigniert die Herkunft des gesprenkelten Musters auf seinen staubigen Schuhen eingesteht.

Aber auch in eurem unmittelbaren Umfeld steht der Hahn viel öfter offen, als ihr es für möglich haltet.

Jedenfalls habe ich mich schon des Häufigeren gefragt, wieso der Typ neben mir im Stadion, der sich immer so aufreizend lustig über meine Konfirmandenblase macht, literweise Bier in sich hineinschüttet, ohne ein einziges Mal seinen Platz zu verlassen. Ich sag es euch: Weil er Hi-Tech Windeln der neuesten Generation trägt, die ihm während eines Ligaspiels problemlos ein drei- oder viermaliges Wasserlassen erlauben. Geht es dann aber in einem Pokalspiel mal in die Verlängerung, dann raune ich meinem zunehmend nervöser werdenden Nachbarn mit einem Augenzwinkern zu: „Jetzt wird’s spannend!“

Oder aber was ist mit dem Kerl, der sich mit der vorgeschobenen Ausrede, unter einer situativen Harnsperre zu leiden, auf dem Kneipenklo einschließt, anstatt bei einem beschwingten Plausch dem Gemeinschaftserlebnis am Urinal zu frönen?

Nun mag manch einer der Auffassung sein, dies seien nichts als verschrobene Hypothesen, die jeglicher Grundlage entbehren. Na dann lest doch mal, was mein werter Redaktionskollege Wilko, zu berichten weiß.

Eine Woche Sanitärsurfing

Ob es jetzt einfach ein blöder Zufall oder, wie Olli behauptet, tatsächlich Karma ist, dass ich - meiner lieben Mama sei Dank - im zarten Alter von 18 Monaten bereits als Proband für Babywindeln herhalten musste, sei an dieser Stelle mal außen vor gelassen. Eigentlich hätte ich über diese Episode meines Lebens als Testscheißer für Pampers sowieso lieber den Mantel des Schweigens gehüllt. Aber Holstenbomben in nicht geringer Menge und mein loses Mundwerk verhalfen diesem Familiengeheimnis schließlich doch zu seiner Enthüllung.

Zur Sache: Neulich bat mich ein guter Bekannter, ihm beim Aufbau einer Preisvergleich-Seite für Erwachsenen-Windeln im Internet zu attestieren. Oooooooookay, dachte ich mir, klingt verdächtig nach einer Aufgabe, die jetzt ersteinmal nicht so spannend erscheint. Weil jedoch die letzten Besuche in vereinsnahen Etablissements ein kleines Löchlein in meinen Geldbeutel gerissen hatten (dummerweise ein windelloses), stimmte ich schließlich zu. Kann ja so schlimm nicht sein.

Was dann folgte, war eine Woche Sanitärsurfing im Internet. Vorab stand die Recherche. Wer verkauft das eigentlich? Und an wen? Was sind die Topseller, was die( Abfluss-)Rohrkrepierer?


Wilko surft auf der Windel-Welle
Unbestriten ist anscheinend, dass der Markt für Inkontinenzprodukte ein wachsender ist. Die Gesellschaft altert. Da ist der FC St. Pauli ja keine Ausnahme. Beispiel Gegengerade. Nicht erst seit der letzten Saison fällt mir auf, dass die Abziehhähne auf den Toiletten die Bierzapfhähne quantitativ absolut in den Schatten stellen (Anm. Olli: Solange es nur quantitativ ist, ist ja noch alles in Butter). Was mich dann zu einer interessanten Überlegung führt: Wo gemeinhin diskutiert wird, ob denn nun der Roar auf der Gegengeraden oder der Südtribüne der bessere sei, frage ich, wer wohl den höheren prozentualen Anteil der Windelträger beherbergt? Süd (weil jung) oder Gegengerade (weil alt)?

Aber ob jung, ob alt, sie alle kaufen, so lernte ich, zu einem überwiegenden Anteil bei der Firma „Svenska Cellulosa Aktiebolaget“ (SCA) aus Schweden, dem Giganten in Fragen Körperausscheidungen, und zwar jeglicher Couleur. Nicht nur die Marke „TENA“ firmiert unter dem Dach von SCA, nein, auch das gute alte „Tempo“-Taschentuch und ebenfalls das graue, raue, von allen außer Hippies verabscheute „Danke“ wird von Stockholm aus vermarktet.

Weil wir hier aber ein Fußballmagazin sind, darf die mir bis neulich völlig unbekannte Babywindelmarke „Libero“, selbstredend auch SCA, auf gar keinen Fall unerwähnt bleiben.

Weiterhin lernte ich: Erwachsenen-Windeln werden hauptsächlich im Internet gekauft. Dabei scheint die Käufergruppe ausgesprochen Markenloyal zu sein. Aber sei´s drum. Ich war ja nicht im Auftrage der Windelindustrie unterwegs wie einst in Kleinkindjahren, sondern ich wollte das preisgünstigste Modell finden. Einigermaßen erfreut war ich dann, als ich nach den ersten Recherchen feststellen durfte, dass die Produktbilder ausnahmslos ohne echte menschliche Modelle auskamen. Nicht, dass ich ausgesprochen feindselig gegenüber der älteren Generation wäre, aber Detailaufnahmen von krampfaderdurchzogenen Schlabberschenkeln in weißen Plastikunterbüchsen… aber lassen wir das, ihr wisst schon, was ich meine.

Dann ging es los, Shop um Shop, Windel um Windel. Stundenlang. Tagelang. Ich bin, das kann ich guten Gewissens vermelden, jetzt Experte in Sachen Windeln. Alle Marken, alle Größen, alle Stärken – nichts ist mir fremd. Nebenbei erfuhr ich durch mehr oder minder produktives herum Klicken einiges Wissenswertes.

In Europa, Afrika und dem Nahen Osten werden jährlich insgesamt mehr als fünf Milliarden (!) Windeln verkauft (ermittelt vom Ausschuss der Hersteller von absorbierenden Hygieneprodukten).

Diese stellen für Müllheizkraftwerke ein energiereiches Schmankerl dar. Sie sind nebenbei bemerkt so energiereich, dass in diesem Jahr das erste reine Windelkraftwerk in Deutschland eröffnete.

Und dann gibt es offensichtlich noch jede Menge Menschen, die den Windel-Fetisch nutzen, um ihrem prüden Sexualleben einen neuen, aufregenden Anstrich bzw. Abstrich zu verpassen.

Heiß! - Heiß! - Heiß!

Die technische Lösung für den Super-GAU

Da brauche ich wohl nicht explizit zu erwähnen, dass die Herrschaften vom Übersteiger Tränen lachten, als Wilko diese Geschichte zum Besten gab. Bloß einer verstummte abrupt und saß plötzlich mit versteinerter Miene da. Wer da nun aber beim „sich vor Lachen nicht mehr halten können“, nicht mehr anhalten konnte, bleibt natürlich ein Interna.

Doch spätestens jetzt wird das Ausmaß dieser fiesen Volkskrankheit klar. Zwar hält sich hartnäckig das Gerücht, man könne mit dem regelmäßigen Anspannen und Lösen des Schließmuskels - ähnlich dem Beckenbodentraining der Frauen nach einer Schwangerschaft - der Inkontinenz entgegenwirken. Wer aber meint, diese Übung würde ihn wieder auf das Level eines Achtjährigen zurückkatapultieren, der locker eine Parabel zustande bringt, deren Maximum jenseits der eigenen Scheitelhöhe liegt, der glaubt auch, dass der Bauchweggürtel aus dem Home-Shopping Kanal, den man beim Biertrinken während der Sportschau umschnallt, ihm binnen zwei Wochen die Figur des Gouverneurs von Kalifornien beschert.

Es bleibt also festzuhalten, dass ein kleines Bisschen Beharrlichkeit hilft, den entsprechenden Muskel wieder einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Nur übertreiben sollte man es nicht. Ganz schlimm wird es jedoch, wenn man quasi gezwungenermaßen den Ventilmuskel bis an die Grenze der Strapazierfähigkeit belasten muss. Ich möchte da nur mal an den unmenschlichen Druck erinnern, der auf einer mehrstündigen Auswärtsfahrt im Bus entsteht, weil irgendein Ochse vor der Abfahrt Abführmittel eingeworfen hat und bereits nach einer halben Stunde der Lokus flächendeckend zugeschissen ist.

„Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Super-GAU gewonnen!“

Wie mich aber erneut Wilko, mein Experte für alle Fragen der innovativen Blasenentleerung, belehrte, hält die Industrie auch für dieses Problem bereits eine technische Lösung parat.

Natürlich gibt es da eine industrielle Lösung. „Urinbeutel“ ist das richtige Google-Schlagwort. Gemeint sind dabei nicht jene, die in Krankenhäusern verwendet werden und die viele unserer männlichen Leser an den gefühlte Ewigkeiten zurückliegenden Kriegsersatzdienst erinnern dürften, sondern jene Produkte, wie beispielsweise das Modell mit dem schillernden Namen „Johnny Wee“. Wie von Geisterhand verwandelt sich in solchen Beuteln das oben eingefüllte Pipi - Zack! - in ein geruchsloses Gel. „Polymerkristall“ heißt der Zauberstoff.

Wie der gefüllte Beutel, der auf einer Bustour wohl kniend und halb unter der Sitzfläche des Vordermannes oder der Vorderfrau zur sachgerechten Anwendung gelangt, denn nun abschließend entsorgt wird, hängt dann wohl wieder vom Alter und Temperament des Anwenders ab. Entweder steckt man ihn dezent in die Jackentasche und lässt ihn unauffällig auf der nächsten Raststätte verschwinden, oder man schmeißt ihn während der Fahrt auf der Autobahn aus dem Dach und hofft, dass er den Spinnern im tiefer gelegten Golf mit dem geistreichen Spruch auf der abgedunkelten Heckscheibe „Hasta la vista, Antifascista!“ (so gesehen in Halle/Saale) geradewegs die Windschutzscheibe durchschlägt.


Danke Wilko, Du und der neue Heiland Johnny Wee, habt mich von einem großen Trauma befreit. Wer hätte das gedacht? So, ich muss jetzt mal dringend austreten. Sollte es mir nicht aus irgendeinem bedauerlichen Grunde entfallen, dann diskutiere ich im nächsten Heft das Für und Wider von Billigarznei aus dem Internet gegen Altersdemenz.

P.S.: Gerüchten zufolge soll auch schon manch Prominente dem neuen Trend folgen…
(ok, die Quelle ist alles andere, als vertrauenswürdig)



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Mittwoch, 8. September 2010

Timo, du spielst!

Die ersten vier Pflichtspielen der noch jungen Saison sind absolviert und drei davon haben wir mit dem knappsten aller möglichen Ergebnisse verloren. Da könnte ich mich natürlich tierisch drüber aufregen und mit dem Schicksal hadern, tue ich aber nicht. Warum das so ist? Weil am Sonntag das erste Derby seit der Spielzeit 01/02 ansteht. Dieses Duell wirft seit Wochen seine mächtigen Schatten voraus. Je dichter der Termin rückt, desto mehr steigt die Anspannung in mir und der Fokus richtet sich auf DAS Spiel. Tag für Tag – Stunde um Stunde.

Dass das nicht nur bei mir so ist, merkt man derzeit überall in der Stadt. Es beginnt mit kleineren Frotzeleien, geht weiter mit albernem Territorialgehabe auf dem Kiez (ähnlich der Reviermarkierung bei Hunden), über verschiedene Abziehaktionen von Fan-Utensilien und gipfelte bisher sicherlich im Angriff auf St. Pauli Fans und Bene am Altonaer Bahnhof.

Wo hier die Grenze zwischen Rivalität und asozialer Prollerei verläuft, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern. Für all jene, die derzeit in einschlägigen Foren oder auf Facebook zum Stress aufrufen, habe ich dann auch gleich noch folgende Grußbotschaft parat:


Allerdings kotzt mich das ganze Hippie-Geschwafel mindestens genauso an. Nein, wir brauchen am Sonntag vor dem Spiel nicht gemeinsam zu brunchen und wir müssen uns auch nicht gegenseitig die Blumenkränze aufsetzen. Es ist und bleibt verdammt nochmal ein Derby. Und für mich kann ich behaupten, dass es mein erstes am Millerntor ist. Wisst ihr Sozialquatscher eigentlich, wann wir das letzte Mal zu Hause gewonnen haben? All jene, die sich dessen nicht mehr so ganz bewusst sind, sollten jetzt schleunigst hier klicken.

Genau deshalb erwarte ich ein Inferno am Millerntor. Wer auf dem Rasen kein Gras frisst, der kann sich gleich seine Papiere abholen und wer auf den Rängen nicht sein Äußerstes gibt, um den Vorstädtern die Hölle auf Erden zu bereiten, für den geht mir vollends jegliches Verständnis ab. Die Rautenträger sollen sich ob der Atmosphäre komplett einscheißen – ich will das riechen können!

Wenn wir dieses Spiel gewinnen – und ich will das Ding gewinnen - dann können wir bis Weihnachten ungeniert nackt durch Stadt tanzen.

In letzter Konsequenz kann mit diesem Geist auf der Mannschaftbesprechung vor dem Spiel auch nur ein Satz aus des Trainers Munde fallen:



„Timo, du spielst heute!“
Foto: magischerfc.de

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Sonntag, 29. August 2010

Vorfreude ist die
schönste Freude

Da kann ich mich drehen und wenden, wie ich will, tut mir Leid, aber sympathisch werden mir die Hoffenheimer in diesem Leben wohl nicht mehr. Nüchtern betrachtet muss ich aber zugeben, dass das gestern ein fairer Auftritt der Elf aus dem Sinsheimer Stadtteil war. Und dass sie einen schönen Fußball spielen können, ist ja auch nicht erst seit gestern bekannt. Die werden auch auf anderen Plätzen noch den einen oder anderen Punkt mitnehmen – ganz sicher!

Umso erfreuter bin ich deshalb über den couragierten Auftritt unserer Helden in braun-weiß. Da braucht mir jetzt auch niemand mit dem Spruch von der fehlenden Cleverness um die Ecke zukommen, wer so spielt wie unser FC am Sonnabend und dann in der 88. Minute ein Ding kassiert, der hat schlichtweg Pech und nix anderes! Sicherlich muss man in der Bundesliga über 90 Minuten aufpassen und voll konzentriert sein, sonst kann es jederzeit klingeln. Das galt aber auch schon in der zweiten Liga. Und da es hüben wie drüben etliche Hochkaräter gab, waren dann wohl offensichtlich beide Teams nicht durchgehend hellwach.

Weil also die Hoffenheimer gestern keine Angriffsfläche für ein adäquates Feindbild lieferten, musste ich mich anders orientieren. In Persona von „Manuel – ich muss mal eben nach Hamburg – Regen – drei Wetter tAFT(er) hält –Gräfe“ wurde ich aber schnell fündig. Auf den Mann ist halt immer Verlass.

Nun war es nicht so, dass er einen spielentscheidenden Fehler begangen hätte, aber die Summe aus vielen Kleinigkeiten führt sowohl auf dem Feld als auch auf den Rängen zu gehörigem Unverständnis und sorgt für entsprechenden Unmut. Ein Beispiel: Nach zehn bis 15 Minuten hatten wir das Spiel einigermaßen im Griff und es entstand so etwas wie eine kleine Drangphase. Dann gabs einen unberechtigten Freistoß für die T$G, der zwar nicht direkt zu etwas zählbaren führte, in seiner Ausführung nach etlichem Hin und Her aber gut drei Minuten dauerte. Damit war unser Druck erstmal unterbrochen. Taktisch klug von Hoffenheim, zum Kotzen vom lieben Manuel.

So läuft es eben manchmal und irgendwie gleicht es sich über die Saison dann wieder aus. Ok, ich zahl den Fünfer fürs Phrasenschwein, aber hätte man mich vor Wochenfrist in der 82. Minute gegen Freiburg gefragt, ich wäre mit einem Remis zufrieden gewesen. Ebenso wäre ich es gestern zur gleichen Zeit gewesen. Unterm Strich wäre ich also mit bisher zwei Punkten glücklich gewesen. Auf dem Konto haben wir aber schon drei und die Mannschaft funktioniert sportlich wie menschlich, was der Huddle nach dem Spiel beweist.

Foto: magischerfc.de
Gedulden wir uns also noch ein wenig und feiern dann das erste Heimtor der Saison im Derby umso frenetischer.

Denn Vorfreude ist doch die schönste Freude!




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