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Montag, 6. Juli 2009
Mehr…?
…nicht!
ollis-tresen-thesen, 02:12h
Außer ein paar wenig aussagekräftiger Testspiele, der Tatsache, dass wir in der ersten Pokalrunde gegen einen Fünftligisten ran müssen und dass der noch nicht genau terminierte Spielplan endlich raus ist, ist die Meldung über die Verpflichtung von Deniz Naki wohl die wichtigste sportliche Nachricht der letzten Tage.
Da aber wohl nirgendwo sonst in der Republik ein Verein so eng mit der eigenen Herkunft verwoben ist, will ich mich heute einem Thema annehmen, dass mich in den vergangenen Tagen viel intensiver beschäftigt hat, als der Fußball und welches St. Pauli im Ganzen und das Schanzenviertel im Besonderen betrifft.
Am Sonnabend jährte sich das selbstbestimmte Schanzenfest zum 21-mal.
Nicht erst an diesem Nachmittag, als ich das bunte Treiben und die ausgelassene Stimmung auf dem Flohmarkt genoss, stellte sich mir die Frage, warum es eigentlich einer behördlichen Genehmigung bedarf, wenn Anwohner in Eigenregie und friedlicher Absicht ein unkommerzielles Straßenfest organisieren wollen. Zeigt dies nicht lediglich, dass sich die Menschen für ihr Viertel interessieren und überdies auch noch bereit sind, sich aktiv für die eigene Lebensqualität einzusetzen? Ist dieses Engagement nicht vielmehr wünschenswert oder gar förderungswürdig?
Nun, ganz offensichtlich sehen das nicht Alle so.
Später, am frühen Abend, teilte ich mit vielleicht 400 Gleichgesinnten die entspannte Atmosphäre im Flora-Park. Zu elektronischer Musik tanzte sich die ausgelassene Menge in Trance. Über der ganzen Szenerie waberte eine schwere, nach Marihuana duftende Wolke. Umso grotesker mutete es an, als plötzlich, aber nicht eben unerwartet, die Exekutive auf der Bildfläche auftauchte und wie Westernhagens „Stinker“ über die angrenzende Hecke luscherte.
Kurze Zeit später, es muss mittlerweile Zehn gewesen sein, vernahm ich die ersten Böllerexplosionen aus Richtung Schulterblatt. Das war dann wohl das finale Zeichen für die Ordnungshüter auch der bis hierhin absolut friedlichen Party ein jähes Ende zu setzen.
Was sich im Anschluss abspielte, soll das folgende Video einmal repräsentativ darstellen. Ich möchte euer Hauptaugenmerk auf die drei Typen lenken, die es ohne jede Gewalt fertigbringen, einen Wasserwerfer aufzuhalten.
Man kann diese Art des Widerstandes geschmacklos finden, dreierlei ist sie indes ohne jede Diskussion:
Alternativ möchte ich euch den diesen Film nicht vorenthalten:
Im Nachfolgenden beobachtete ich die mittlerweile elanvoll auf dem Schulterblatt eingesetzten Wasserwerfer aus der Juliusstraße heraus. Als dann hastig die „Black Unit“ (schwarzer Anzug, schwarzer Helm) auf mich zustürmte, wurde die Lage zusehends unübersichtlicher, und ich fand mich kurzerhand hinter einer Polizeikette wieder. Während ich mich entschloss, ein kleines Erinnerungsfoto zu schießen, ertönte es um mich herum aus vielen Kehlen:
Also befand ich mich gar nicht hinter der Einsatztruppe der Polizei, sondern sie lag vielmehr zwischen zwei autonomen Linien!
An der Ecke Lippmannstraße / Juliusstraße
Letztlich bleibt nüchtern festzuhalten, dass an diesem Abend eine wohl nicht unerhebliche Zahl von Gewalttouristen auf den Straßen unterwegs war.
Obwohl ich diese Art der Auseinandersetzungen aus den vergangenen Jahren kenne, muss ich zugeben, dass mich die Heftigkeit in diesem Jahr schon erschreckt hat.
Allerdings ließ sich auch die Polizei nicht lumpen. Mit welch drakonischer Brutalität die Beamten antworteten, zeigt das nächste Szenario.
Gegen Elf schlenderte ich die Max-Brauer-Allee in Richtung Schulterblatt hinunter, als ich unvermittelt Zeuge einer Festnahme wurde. Drei vollausgerüstete Gesetzeshüter drückten das Gesicht eines Mannes, so um die Mitte zwanzig, mit unvorstellbarer Rücksichtslosigkeit auf den Asphalt. Dabei legten sie ihm brutal Handschellen an. Offensichtlich verletzten die Beamten dabei sein linkes Handgelenk.
Noch nie zuvor habe ich einen Menschen vor Schmerz so schreien gehört!
Aber auch nachdem der Verhaftete in die bereitstehende „Wanne“ verfrachtet worden war, machte niemand Anstalten, seine Handfesseln zu lockern. Selbst aus dem geschlossenen Fahrzeug waren die Schmerzensschreie noch deutlich hörbar. Erst nach schier endlosen Minuten, ein Staatsdiener streifte sich erstmal aufreizend langsam seine grauen Glattlederhandschuhe über, wurde der Mann aus dem Sichtfeld der Umherstehenden auf den Boden des Autos geleitet. Wiederum von zwei weiteren Schergen gesichert, wurden die Fesseln nun endlich ein wenig gelockert. Ein ganz junger Beamter war angesichts der vielen Zeugen augenfällig nervös.
Noch paralysiert vom eben Erlebten, schämte ich mich, nicht den Mut aufgebracht zu haben, die Szene auf Video festzuhalten. Da nahm ich in meinem Rücken diffuses Gelächter wahr. Als ich mich langsam der "bar rossi" zuwandte, saß da doch tatsächlich das fröhliche Partyvolk und amüsierte sich bei bunten Cocktails. Den Protest, wessen Ursprung nicht zuletzt in ihrer Anwesenheit begründet liegt, nahm die Gute-Laune-Gesellschaft bestenfalls als schmückendes Beiwerk hin.
Dazu möchte ich erwähnen, dass ich nicht schon immer in Schanzennähe gewohnt habe, und auch ich bin vor zwanzig Jahren mit meinen Freunden am Wochenende zum Feiern hierher gefahren. Allerdings wurde damals das Viertel noch nicht derart von hippen Läden überschwemmt. Die paar Etablissements konnte der Stadtteil sehr gut vertragen. Es gab seinerzeit das "Pickenpack", das "Stairways" und das "Kir". Und wer schick feiern wollte, der ging meinetwegen noch ins "Trinity".
Was sich hingegen heute abspielt, ist des Guten zu viel. Alles was das Leben für die Anwohner angenehm gestaltet, verschwindet nach und nach. Dabei steigen die Mieten ins Unerschwingliche und das, was die Schanze so unverwechselbar macht, wird systematisch eliminiert.
Und damit bin ich wieder bei meiner Frage vom Sonnabendnachmittag angelangt. Muss denn eigentlich Alles behördlich genehmigt werden und warum gibt es in dieser Stadt offensichtlich keinen Raum für ein selbstbestimmtes Leben?
Ob ein runder Tisch eine Lösung offenbaren würde, bleibt zweifelhaft. Denn schließlich hat eine alternative Lebensanschauung in attraktiver und zentraler Lage keine Lobby. Hätten Gespräche den Wandel des Viertels zu stoppen, auch nur die kleinste Aussicht auf Erfolg? Was ist die Alternative? Permanente Anschläge auf alles Verhasste? Wem nützt das Alles? Wohin kommen wir, wenn niemand mehr miteinander spricht?
Eigentlich weiß es doch jeder, wenn der Dialog stirbt, gibt es keine Lösungen mehr. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Eine Beziehung scheitert, wenn sich die Partner nichts mehr zu sagen haben, Kriege brechen aus, wenn Staaten nicht mehr an den Verhandlungstisch finden.
Auf der Suche nach Antworten bat ich Peter Haß von der Buchhandlung im Schanzenviertel zum Gespräch.
Der Laden feierte in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Gar zwei Jahre länger lebt Peter bereits im Viertel. Er verfolgt sehr wachsam die Entwicklung des Viertels in den letzten Jahren.
Peter Haß (61) betreibt zusammen mit seiner Frau
Olli: Hallo Peter, wie beurteilst du die Vorkommnisse von Sonnabendnacht nachdem du einmal drüber geschlafen hast?
Peter: Also, ich muss sagen, dass ich in diesem Jahr ein anderes Gefühl hatte, als in den Jahren zuvor. Schon, was das Fest tagsüber anging, hatte ich das Gefühl, dass es sichtbar politischer war, es gab viele Transparente an den Häuserwänden oder auch quer über die Straße gespannt. So zum Beispiel in der Susannenstraße. Dort stand: „Wir wollen nicht, dass das hier zum Ballermann wird!“, an der 1000 Töpfe Baustelle stand: „Spekulanten verpisst euch!“. Dazu kam dann noch die Hausbesetzung, die vormittags in der Rosenhofstraße stattgefunden hat. Also viele politische Aktivitäten, die darauf hindeuten, dass man mit der Entwicklung im Viertel nicht zufrieden ist.
“Da kann man echt nur noch
Olli: Die Organisatoren des Schanzenfestes legen großen Wert auf die Selbstbestimmung und Eigenorganisation. Wo liegt das Problem, das Fest anzumelden und welche Konsequenzen hätte das?
Peter: Ich selber habe mal ein Straßenfest in der Bartelsstraße angemeldet. Was ich da an Bürokratie erlebt habe, hätte ich mir im Vorwege nie erträumen lassen. Und da habe ich dann hinterher auch gesagt, dass ich nie wieder im Leben ein Straßenfest anmelden werde. Erstmal wirst du für Alles verantwortlich gemacht, was auf diesem Fest passiert, ohne dass du eine Chance hast, das irgendwie selbst zu regulieren. Zweitens sind da echte Bürokraten am Werk. Bei dem Straßenfest wollten wir beispielsweise von Haus zu Haus ein Transparent spannen. Da wurde von uns verlangt, einen Statiker einzuschalten, um zu überprüfen, ob die Häuser dieser Belastung stand halten. Da kann man echt nur noch mit dem Kopf schütteln und fragen, was das dann noch soll? Zum Schanzenfest muss man allerdings zusätzlich sagen, dass es da auch noch andere Gründe gibt. Das hängt mit der Entwicklung der Roten Flora zusammen. Wenn man damals vor zwanzig Jahren durchgesetzt hätte, dieses riesige Musical, das heute am Holstenbahnhof ist, hier in der Schanze zu machen, dann hätte es wahrscheinlich schon da eine gewaltige Veränderung für das Viertels bedeutet. Durch die Besetzung der Roten Flora ist dann dieses alljährliche Fest entstanden. Das Ganze entwickelte dann von Jahr zu Jahr eine Art Eigendynamik und man hegte nie den Wunsch, sich damit an die Polizei oder die Behörden zu wenden.
Olli: Am Tag des Schanzenfestes hattet ihr vor eurem Laden ein Plakat mit dem Text „Wer lebt, stört.“ aufgehängt. Nun sollen beispielsweise in der Susannenstraße die Parkbuchten zugeschüttet werden, damit die Gastro noch mehr Platz für Bestuhlung hat. Die ganze Straße würde dann gewissermaßen zu einer einzigen Biermeile umstrukturiert. Ist das nicht gerade das pralle Leben?
Peter: Ja, also da wird gelebt, das kann man wohl schon so sagen. Das Problem ist nur, dass dort natürlich auch noch anders gelebt wird. Also von den Leuten, die da wohnen und eben teilweise auch Jobs haben, wo sie mal um Fünf oder halb Sechs aufstehen müssen. Dann gibt es da natürlich auch noch Familien mit kleinen Kindern. Wenn dann in den Sommermonaten bis morgens um Vier die Party abgeht, dann kommt nie die Polizei, um mal darauf zu achten, ob es irgendwie zu laut ist. Das passiert immer nur dann, wenn aus politischen Gründen ein Fest gefeiert wird und deshalb die Leute angeblich nicht schlafen können, dann ist plötzlich zu viel Lärm da. Aber der alltägliche Halli-Galli-Ballermann-Lärm wird ignoriert. Natürlich ist es toll, wenn man ausgeht und das Wetter ist schön. Dann habe ich auch Bock nachts lange noch draußen zu sitzen. Aber ich denke, solange es nur die Anwohner im Schanzenviertel waren, also ohne die ganzen Touristen, hielt sich das in Grenzen. Ich denke, wenn man selbst vor seiner Haustür sitzt und feiert, dann weiß man auch am Besten, wo Schluss ist. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn da meist schon besoffen Horden auf Junggesellenabschied durch die Straßen ziehen.
Olli: Mittlerweile verschwinden immer mehr nützliche Läden. Zuletzt musste beispielsweise "1000 Töpfe" die Segel streichen, um immer mehr Platz für trendige Boutiquen oder szenige Bars zu schaffen. Siehst du einen Weg, diesen Trend zu stoppen?
Peter: Es ist natürlich schwierig. Zum Einen läuft das Alles auf privater Ebene, also einen Vermieter daran zu hindern, mehr Miete zu nehmen, ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Stadt hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, die ganze Entwicklung zu stoppen, wenn sie per Gesetz Verordnungen erlassen hätte, die nicht den unbegrenzten Zuzug von Gastronomie zulassen. Oder, was die Wohnungen betrifft und was die Stadt jetzt angeblich in den nächsten anderthalb Jahren vor hat, in meinen Augen übrigens zehn Jahre zu spät, ist das Verbot Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Also die Stadt hätte schon die Möglichkeiten gehabt. Aber ich glaube, es ist eher umgekehrt, dass sich Schwarz-Grün sagt, im Rahmen der wachsenden und kreativen Stadt wollen wir die Gentrifizierung. Das heißt, man will ganz bewusst diesen Austausch, dass ärmere Anwohner gehen und dafür die sogenannten „Kreativen“, also einkommensstärkere Bewohner die innenstadtnahen Viertel neu besiedeln.
“Jeder Laden für sich genommen
Olli: In den Medien hört man häufig von Klagen der Betreiber kleinerer Läden, dass deren Scheiben eingeworfen werden. Häufig wird der Szene Willkür vorgeworfen. Soweit ich mich erinnere, ist bei euch allerdings noch nie etwas zu Bruch gegangen. Ist denn jeder kleine Boutiquebesitzer Synonym der „Veryuppiesierung“?
Peter: Darüber kann man sich streiten. Jeder Laden für sich genommen trägt natürlich keine Schuld. Obwohl ich mich dann doch schon manchmal wundere. Denn ich weiß, warum die alten Läden rausgegangen sind. Nämlich weil sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. Wenn denn jetzt die Neuen plötzlich die horrenden Mieten zahlen können, dann kann das ja eigentlich nur angehen, weil sie einen unwahrscheinlichen Reibach machen. Ich habe auch nichts gegen einen Brillen-Designer, der am Schulterblatt neu aufgemacht hat. Allerdings habe ich schon etwas dagegen, wenn die Läden, die da vorher drin waren und durch die Bank weg nützlich waren, verschwinden und dafür kommen nur noch neue Läden, die für die Anwohner völlig uninteressant bis ärgerlich sind. Was ich meine ist, dass ich keine sieben Brillen-Designer brauche. Und ich brauche auch keine zehn Herrenausstatter, keine zwanzig Boutiquen und erst recht nicht die 85-ste Bar. Um das nochmal zusammenzufassen: Alles was nützlich war verschwindet, alles was neu kommt ist für die Anwohner ohne Nutzen. Und dann nochmal was zu den eingeworfenen Scheiben. Ich glaube, man muss da die Wut über die gesamte Entwicklung sehen. Wie gesagt, jeder Laden für sich trägt keine Schuld. Aber sieht man alles zusammengenommen, macht das wütend. Natürlich ist es jetzt schwer einen Schuldigen zu benennen. Ein Stück weit tragen die Politiker die Schuld für diese Entwicklung.
Olli: Im April gab es von Seiten der Innenbehörde den Versuch zum Dialog. Aber der Ausdruck "runder Tisch" scheint ein rotes Tuch zu sein. Warum?
Peter: Die Frage ist, was soll dieser runde Tisch bewirken? Ich meine, was hätte er am Schanzenfest verändern sollen? Gesetzt den Fall, dass wirklich jemand das Fest anmelden würde, war eigentlich klar, was dahinter steckt. Es hatten sich beispielsweise zwei Betreiber der Altonale gemeldet. Da fragen wir uns natürlich, was die Leute von der Altonale mit dem Schanzenfest zu tun haben. Da ist klar, dass das dann ähnlich ablaufen soll, wie die Altonale, nämlich als großes Kommerzgeschäft. Dann kommen die Würstchen- und Bierwagen, die da ihr Geld machen. Wir wollen eben, dass das Schanzenfest ein überwiegend unkommerzielles Fest bleibt. Auch jetzt schon kommen professionelle Trödelhändler. Das ist schwer zu verhindern, aber ansonsten ist das zum großen Teil schon noch alles Eigeninitiative hier.
Olli: Verständlicherweise fällt es schwer, sich auf einen Dialog einzulassen, wenn einem die Lobby fehlt. Da ist dann schon vorab klar, dass sich nichts Grundlegendes ändern wird. Dennoch ist Gewalt wohl keine Alternative, oder?
Peter: Nein, die Gewalt ist keine Alternative. Man muss dabei sehen, dass es diese Gewalt nicht seit zwanzig Jahren gibt. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Und unserer Meinung nach liegt der Ausgangspunkt eindeutig in dem überzogenen Einsatz in den ersten beiden Jahren von Seiten der Polizei. Wenn man sieht, was sonst so Alles bei irgendwelchen offiziellen Festen der Stadt toleriert wird. Hier war der Ausgangspunkt beim ersten Mal ein kleines Lagerfeuer um das herum in etwa zwanzig Leute gesessen haben. Das wurde als Anlass genommen, um hier mit Hundertschaften und Wasserwerfern das ganze Viertel wegzupusten. Das hat dazu geführt, dass sich hier ein Kreislauf etabliert hat. Das hat sich immer mehr verschärft. Und dieses Mal ist es ja nun so gewesen, dass es eigentlich gar keinen Anlass gab und die Polizei schon um Sieben Uhr abends grundlos mit Hundertschaften durch das Viertel marschiert ist. Da muss ich sagen, dass ich auch nicht in Ruhe feiern kann, wenn hinter mir behelmte Polizisten in voller Kampfmontur stehen. Das ist eindeutig eine Provokation und man hat dann wirklich den kleinsten Anlass, den man sich nur vorstellen konnte, nämlich eine fliegende Flasche auf die leere(!) Bühne, genommen, um dann das ganze Schanzenviertel praktisch leer zu räumen und abzusperren. Das sich daraufhin immer mehr sogenannte normale Kneipenbesucher auf die Seite der Protestierer gesellt haben, ist nicht verwunderlich. Es gibt immer mehr neutrale Beobachter, die sagen, es sei unglaublich, was die Polizei hier abgezogen hat.
Olli: Also ich hatte den Eindruck, dass es ungleich heftiger war, als in den vergangenen Jahren. Mir schien, dass auch sehr viele Gewalttouristen unterwegs waren.
Peter: Ja, also ich habe auch gehört, dass um die 80 Leute aus Berlin dagewesen sein sollen. Das ist klar, weil es nun in den vergangenen Jahren auch einen gewissen Ruf erlangt hat. Ich habe gehört, dass es jetzt sogar schon international in den Kalendern vermerkt ist. So fahren am 1. Mai auch viele Leute nach Berlin, das wird man nicht verhindern können. Auf der anderen Seite kann man keinesfalls sagen, dass das hier nun Alles etwas Inszeniertes ist, von Leuten, die mit der Schanze gar nichts zu tun haben. Das stimmt einfach nicht! Ich kenne sehr viele Leute aus dem Schanzenviertel, die sagen: „Dieses Fest lassen wir uns nicht nehmen!“, und die diese Art von Polizeieinsatz einfach als provokant empfinden. Und deshalb sind diese Leute verständlicherweise sehr, sehr wütend. Man kann also nicht sagen, es seien jetzt eventorientierte Jugendliche aus Reinbek, oder so. Mag natürlich sein, dass auch solche Leute da sind, aber es sind definitiv ganz viele Menschen aus dem Schanzenviertel. Es sind ja am Sonnabend auch durchaus richtig heftige Sachen passiert. Hast du von der Sache mit dem "Jolly Roger" etwas mitbekommen?
Olli: Nein, bisher noch nicht. Erzähle doch mal!
Peter: Nachts zwischen Zwei und Drei sind wohl ein paar Flaschen geflogen, aber eben nicht vom "Jolly Roger" aus. Der Laden war voll und vor der Tür standen auch ’ne Menge Leute. Es waren also Leute auf der Budapester Straße, die mit Flaschen geworfen haben. Und dann ist die Polizei mit einem Wasserwerfer um die Ecke gekommen und hat volle Kanne in Kopfhöhe auf die Leute geschossen. Die Leute bekamen Panik und versuchten ins Jolly zu flüchten. Aber da passten natürlich gar nicht mehr alle rein. Dabei ist dann wohl auch noch die Scheibe einer darüber liegenden Wohnung zu Bruch gegangen. Danach haben sie dann unter massiven Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray versucht, den Laden zu stürmen. Dabei haben sie bei einer Person wohl noch die komplette obere Kauleiste entfernt. Das muss wohl richtig heftig zugegangen sein.
Olli: Da bin ich erstmal sprachlos! Peter, nichts desto trotz danke ich dir für dieses Interview.
Einen wirklichen Lösungsansatz hat Peter also leider auch nicht parat. Somit bleibt lediglich festzustellen, dass die Politik, gewollt oder ungewollt, vor Jahren versäumt hat, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, bleibt abzuwarten.
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Mehr…?
…nicht!
…nicht!
Da aber wohl nirgendwo sonst in der Republik ein Verein so eng mit der eigenen Herkunft verwoben ist, will ich mich heute einem Thema annehmen, dass mich in den vergangenen Tagen viel intensiver beschäftigt hat, als der Fußball und welches St. Pauli im Ganzen und das Schanzenviertel im Besonderen betrifft.
Am Sonnabend jährte sich das selbstbestimmte Schanzenfest zum 21-mal.
Nicht erst an diesem Nachmittag, als ich das bunte Treiben und die ausgelassene Stimmung auf dem Flohmarkt genoss, stellte sich mir die Frage, warum es eigentlich einer behördlichen Genehmigung bedarf, wenn Anwohner in Eigenregie und friedlicher Absicht ein unkommerzielles Straßenfest organisieren wollen. Zeigt dies nicht lediglich, dass sich die Menschen für ihr Viertel interessieren und überdies auch noch bereit sind, sich aktiv für die eigene Lebensqualität einzusetzen? Ist dieses Engagement nicht vielmehr wünschenswert oder gar förderungswürdig?
Nun, ganz offensichtlich sehen das nicht Alle so.
Das Schulterblatt um zehn vor Zwei
Die Message ist klar!
Mehr…?
…nicht!
…nicht!
Später, am frühen Abend, teilte ich mit vielleicht 400 Gleichgesinnten die entspannte Atmosphäre im Flora-Park. Zu elektronischer Musik tanzte sich die ausgelassene Menge in Trance. Über der ganzen Szenerie waberte eine schwere, nach Marihuana duftende Wolke. Umso grotesker mutete es an, als plötzlich, aber nicht eben unerwartet, die Exekutive auf der Bildfläche auftauchte und wie Westernhagens „Stinker“ über die angrenzende Hecke luscherte.
Die ausgelassene Party
Die Staatsmacht sorgt für Unruhe
Was sich im Anschluss abspielte, soll das folgende Video einmal repräsentativ darstellen. Ich möchte euer Hauptaugenmerk auf die drei Typen lenken, die es ohne jede Gewalt fertigbringen, einen Wasserwerfer aufzuhalten.
An dieser Stelle stand ursprünglich ein Video, dass drei Typen mit heruntergelassenen Hosen zeigte, die sich vor einen anrückenden Wasserwerfer gelegt hatten. Der erste fing gleich mit dem Onanieren an. Tja, das ist dann wohl der Zensur zum Opfer gefallen…
Man kann diese Art des Widerstandes geschmacklos finden, dreierlei ist sie indes ohne jede Diskussion:
Kreativ - Couragiert - Gewaltfrei!
Mehr…?
…nicht!
…nicht!
Alternativ möchte ich euch den diesen Film nicht vorenthalten:
Im Nachfolgenden beobachtete ich die mittlerweile elanvoll auf dem Schulterblatt eingesetzten Wasserwerfer aus der Juliusstraße heraus. Als dann hastig die „Black Unit“ (schwarzer Anzug, schwarzer Helm) auf mich zustürmte, wurde die Lage zusehends unübersichtlicher, und ich fand mich kurzerhand hinter einer Polizeikette wieder. Während ich mich entschloss, ein kleines Erinnerungsfoto zu schießen, ertönte es um mich herum aus vielen Kehlen:
„Hass, Hass,
Hass wie noch nie
All cops are bastards
ACAB!“
Hass wie noch nie
All cops are bastards
ACAB!“
Also befand ich mich gar nicht hinter der Einsatztruppe der Polizei, sondern sie lag vielmehr zwischen zwei autonomen Linien!
An der Ecke Lippmannstraße / Juliusstraße
landet eine Leuchtrakete im Staatsmob
Obwohl ich diese Art der Auseinandersetzungen aus den vergangenen Jahren kenne, muss ich zugeben, dass mich die Heftigkeit in diesem Jahr schon erschreckt hat.
Allerdings ließ sich auch die Polizei nicht lumpen. Mit welch drakonischer Brutalität die Beamten antworteten, zeigt das nächste Szenario.
Gegen Elf schlenderte ich die Max-Brauer-Allee in Richtung Schulterblatt hinunter, als ich unvermittelt Zeuge einer Festnahme wurde. Drei vollausgerüstete Gesetzeshüter drückten das Gesicht eines Mannes, so um die Mitte zwanzig, mit unvorstellbarer Rücksichtslosigkeit auf den Asphalt. Dabei legten sie ihm brutal Handschellen an. Offensichtlich verletzten die Beamten dabei sein linkes Handgelenk.
Noch nie zuvor habe ich einen Menschen vor Schmerz so schreien gehört!
Aber auch nachdem der Verhaftete in die bereitstehende „Wanne“ verfrachtet worden war, machte niemand Anstalten, seine Handfesseln zu lockern. Selbst aus dem geschlossenen Fahrzeug waren die Schmerzensschreie noch deutlich hörbar. Erst nach schier endlosen Minuten, ein Staatsdiener streifte sich erstmal aufreizend langsam seine grauen Glattlederhandschuhe über, wurde der Mann aus dem Sichtfeld der Umherstehenden auf den Boden des Autos geleitet. Wiederum von zwei weiteren Schergen gesichert, wurden die Fesseln nun endlich ein wenig gelockert. Ein ganz junger Beamter war angesichts der vielen Zeugen augenfällig nervös.
Noch paralysiert vom eben Erlebten, schämte ich mich, nicht den Mut aufgebracht zu haben, die Szene auf Video festzuhalten. Da nahm ich in meinem Rücken diffuses Gelächter wahr. Als ich mich langsam der "bar rossi" zuwandte, saß da doch tatsächlich das fröhliche Partyvolk und amüsierte sich bei bunten Cocktails. Den Protest, wessen Ursprung nicht zuletzt in ihrer Anwesenheit begründet liegt, nahm die Gute-Laune-Gesellschaft bestenfalls als schmückendes Beiwerk hin.
Mehr…?
…nicht!
…nicht!
Dazu möchte ich erwähnen, dass ich nicht schon immer in Schanzennähe gewohnt habe, und auch ich bin vor zwanzig Jahren mit meinen Freunden am Wochenende zum Feiern hierher gefahren. Allerdings wurde damals das Viertel noch nicht derart von hippen Läden überschwemmt. Die paar Etablissements konnte der Stadtteil sehr gut vertragen. Es gab seinerzeit das "Pickenpack", das "Stairways" und das "Kir". Und wer schick feiern wollte, der ging meinetwegen noch ins "Trinity".
Mehr…?
…nicht!
…nicht!
Was sich hingegen heute abspielt, ist des Guten zu viel. Alles was das Leben für die Anwohner angenehm gestaltet, verschwindet nach und nach. Dabei steigen die Mieten ins Unerschwingliche und das, was die Schanze so unverwechselbar macht, wird systematisch eliminiert.
Und damit bin ich wieder bei meiner Frage vom Sonnabendnachmittag angelangt. Muss denn eigentlich Alles behördlich genehmigt werden und warum gibt es in dieser Stadt offensichtlich keinen Raum für ein selbstbestimmtes Leben?
Ob ein runder Tisch eine Lösung offenbaren würde, bleibt zweifelhaft. Denn schließlich hat eine alternative Lebensanschauung in attraktiver und zentraler Lage keine Lobby. Hätten Gespräche den Wandel des Viertels zu stoppen, auch nur die kleinste Aussicht auf Erfolg? Was ist die Alternative? Permanente Anschläge auf alles Verhasste? Wem nützt das Alles? Wohin kommen wir, wenn niemand mehr miteinander spricht?
Eigentlich weiß es doch jeder, wenn der Dialog stirbt, gibt es keine Lösungen mehr. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Eine Beziehung scheitert, wenn sich die Partner nichts mehr zu sagen haben, Kriege brechen aus, wenn Staaten nicht mehr an den Verhandlungstisch finden.
Auf der Suche nach Antworten bat ich Peter Haß von der Buchhandlung im Schanzenviertel zum Gespräch.
Der Laden feierte in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Gar zwei Jahre länger lebt Peter bereits im Viertel. Er verfolgt sehr wachsam die Entwicklung des Viertels in den letzten Jahren.
Peter Haß (61) betreibt zusammen mit seiner Frau
seit 1979 die Buchhandlung im Schanzenviertel
Peter: Also, ich muss sagen, dass ich in diesem Jahr ein anderes Gefühl hatte, als in den Jahren zuvor. Schon, was das Fest tagsüber anging, hatte ich das Gefühl, dass es sichtbar politischer war, es gab viele Transparente an den Häuserwänden oder auch quer über die Straße gespannt. So zum Beispiel in der Susannenstraße. Dort stand: „Wir wollen nicht, dass das hier zum Ballermann wird!“, an der 1000 Töpfe Baustelle stand: „Spekulanten verpisst euch!“. Dazu kam dann noch die Hausbesetzung, die vormittags in der Rosenhofstraße stattgefunden hat. Also viele politische Aktivitäten, die darauf hindeuten, dass man mit der Entwicklung im Viertel nicht zufrieden ist.
“Da kann man echt nur noch
mit dem Kopf schütteln“
Olli: Die Organisatoren des Schanzenfestes legen großen Wert auf die Selbstbestimmung und Eigenorganisation. Wo liegt das Problem, das Fest anzumelden und welche Konsequenzen hätte das?
Peter: Ich selber habe mal ein Straßenfest in der Bartelsstraße angemeldet. Was ich da an Bürokratie erlebt habe, hätte ich mir im Vorwege nie erträumen lassen. Und da habe ich dann hinterher auch gesagt, dass ich nie wieder im Leben ein Straßenfest anmelden werde. Erstmal wirst du für Alles verantwortlich gemacht, was auf diesem Fest passiert, ohne dass du eine Chance hast, das irgendwie selbst zu regulieren. Zweitens sind da echte Bürokraten am Werk. Bei dem Straßenfest wollten wir beispielsweise von Haus zu Haus ein Transparent spannen. Da wurde von uns verlangt, einen Statiker einzuschalten, um zu überprüfen, ob die Häuser dieser Belastung stand halten. Da kann man echt nur noch mit dem Kopf schütteln und fragen, was das dann noch soll? Zum Schanzenfest muss man allerdings zusätzlich sagen, dass es da auch noch andere Gründe gibt. Das hängt mit der Entwicklung der Roten Flora zusammen. Wenn man damals vor zwanzig Jahren durchgesetzt hätte, dieses riesige Musical, das heute am Holstenbahnhof ist, hier in der Schanze zu machen, dann hätte es wahrscheinlich schon da eine gewaltige Veränderung für das Viertels bedeutet. Durch die Besetzung der Roten Flora ist dann dieses alljährliche Fest entstanden. Das Ganze entwickelte dann von Jahr zu Jahr eine Art Eigendynamik und man hegte nie den Wunsch, sich damit an die Polizei oder die Behörden zu wenden.
Olli: Am Tag des Schanzenfestes hattet ihr vor eurem Laden ein Plakat mit dem Text „Wer lebt, stört.“ aufgehängt. Nun sollen beispielsweise in der Susannenstraße die Parkbuchten zugeschüttet werden, damit die Gastro noch mehr Platz für Bestuhlung hat. Die ganze Straße würde dann gewissermaßen zu einer einzigen Biermeile umstrukturiert. Ist das nicht gerade das pralle Leben?
Peter: Ja, also da wird gelebt, das kann man wohl schon so sagen. Das Problem ist nur, dass dort natürlich auch noch anders gelebt wird. Also von den Leuten, die da wohnen und eben teilweise auch Jobs haben, wo sie mal um Fünf oder halb Sechs aufstehen müssen. Dann gibt es da natürlich auch noch Familien mit kleinen Kindern. Wenn dann in den Sommermonaten bis morgens um Vier die Party abgeht, dann kommt nie die Polizei, um mal darauf zu achten, ob es irgendwie zu laut ist. Das passiert immer nur dann, wenn aus politischen Gründen ein Fest gefeiert wird und deshalb die Leute angeblich nicht schlafen können, dann ist plötzlich zu viel Lärm da. Aber der alltägliche Halli-Galli-Ballermann-Lärm wird ignoriert. Natürlich ist es toll, wenn man ausgeht und das Wetter ist schön. Dann habe ich auch Bock nachts lange noch draußen zu sitzen. Aber ich denke, solange es nur die Anwohner im Schanzenviertel waren, also ohne die ganzen Touristen, hielt sich das in Grenzen. Ich denke, wenn man selbst vor seiner Haustür sitzt und feiert, dann weiß man auch am Besten, wo Schluss ist. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn da meist schon besoffen Horden auf Junggesellenabschied durch die Straßen ziehen.
Die Buchhandlung am Schulterblatt am Nachmittag
Peter: Es ist natürlich schwierig. Zum Einen läuft das Alles auf privater Ebene, also einen Vermieter daran zu hindern, mehr Miete zu nehmen, ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Stadt hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, die ganze Entwicklung zu stoppen, wenn sie per Gesetz Verordnungen erlassen hätte, die nicht den unbegrenzten Zuzug von Gastronomie zulassen. Oder, was die Wohnungen betrifft und was die Stadt jetzt angeblich in den nächsten anderthalb Jahren vor hat, in meinen Augen übrigens zehn Jahre zu spät, ist das Verbot Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Also die Stadt hätte schon die Möglichkeiten gehabt. Aber ich glaube, es ist eher umgekehrt, dass sich Schwarz-Grün sagt, im Rahmen der wachsenden und kreativen Stadt wollen wir die Gentrifizierung. Das heißt, man will ganz bewusst diesen Austausch, dass ärmere Anwohner gehen und dafür die sogenannten „Kreativen“, also einkommensstärkere Bewohner die innenstadtnahen Viertel neu besiedeln.
“Jeder Laden für sich genommen
trägt natürlich keine Schuld“
Olli: In den Medien hört man häufig von Klagen der Betreiber kleinerer Läden, dass deren Scheiben eingeworfen werden. Häufig wird der Szene Willkür vorgeworfen. Soweit ich mich erinnere, ist bei euch allerdings noch nie etwas zu Bruch gegangen. Ist denn jeder kleine Boutiquebesitzer Synonym der „Veryuppiesierung“?
Peter: Darüber kann man sich streiten. Jeder Laden für sich genommen trägt natürlich keine Schuld. Obwohl ich mich dann doch schon manchmal wundere. Denn ich weiß, warum die alten Läden rausgegangen sind. Nämlich weil sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. Wenn denn jetzt die Neuen plötzlich die horrenden Mieten zahlen können, dann kann das ja eigentlich nur angehen, weil sie einen unwahrscheinlichen Reibach machen. Ich habe auch nichts gegen einen Brillen-Designer, der am Schulterblatt neu aufgemacht hat. Allerdings habe ich schon etwas dagegen, wenn die Läden, die da vorher drin waren und durch die Bank weg nützlich waren, verschwinden und dafür kommen nur noch neue Läden, die für die Anwohner völlig uninteressant bis ärgerlich sind. Was ich meine ist, dass ich keine sieben Brillen-Designer brauche. Und ich brauche auch keine zehn Herrenausstatter, keine zwanzig Boutiquen und erst recht nicht die 85-ste Bar. Um das nochmal zusammenzufassen: Alles was nützlich war verschwindet, alles was neu kommt ist für die Anwohner ohne Nutzen. Und dann nochmal was zu den eingeworfenen Scheiben. Ich glaube, man muss da die Wut über die gesamte Entwicklung sehen. Wie gesagt, jeder Laden für sich trägt keine Schuld. Aber sieht man alles zusammengenommen, macht das wütend. Natürlich ist es jetzt schwer einen Schuldigen zu benennen. Ein Stück weit tragen die Politiker die Schuld für diese Entwicklung.
Olli: Im April gab es von Seiten der Innenbehörde den Versuch zum Dialog. Aber der Ausdruck "runder Tisch" scheint ein rotes Tuch zu sein. Warum?
Peter: Die Frage ist, was soll dieser runde Tisch bewirken? Ich meine, was hätte er am Schanzenfest verändern sollen? Gesetzt den Fall, dass wirklich jemand das Fest anmelden würde, war eigentlich klar, was dahinter steckt. Es hatten sich beispielsweise zwei Betreiber der Altonale gemeldet. Da fragen wir uns natürlich, was die Leute von der Altonale mit dem Schanzenfest zu tun haben. Da ist klar, dass das dann ähnlich ablaufen soll, wie die Altonale, nämlich als großes Kommerzgeschäft. Dann kommen die Würstchen- und Bierwagen, die da ihr Geld machen. Wir wollen eben, dass das Schanzenfest ein überwiegend unkommerzielles Fest bleibt. Auch jetzt schon kommen professionelle Trödelhändler. Das ist schwer zu verhindern, aber ansonsten ist das zum großen Teil schon noch alles Eigeninitiative hier.
“Es gab eigentlich gar keinen Anlass“
Olli: Verständlicherweise fällt es schwer, sich auf einen Dialog einzulassen, wenn einem die Lobby fehlt. Da ist dann schon vorab klar, dass sich nichts Grundlegendes ändern wird. Dennoch ist Gewalt wohl keine Alternative, oder?
Peter: Nein, die Gewalt ist keine Alternative. Man muss dabei sehen, dass es diese Gewalt nicht seit zwanzig Jahren gibt. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Und unserer Meinung nach liegt der Ausgangspunkt eindeutig in dem überzogenen Einsatz in den ersten beiden Jahren von Seiten der Polizei. Wenn man sieht, was sonst so Alles bei irgendwelchen offiziellen Festen der Stadt toleriert wird. Hier war der Ausgangspunkt beim ersten Mal ein kleines Lagerfeuer um das herum in etwa zwanzig Leute gesessen haben. Das wurde als Anlass genommen, um hier mit Hundertschaften und Wasserwerfern das ganze Viertel wegzupusten. Das hat dazu geführt, dass sich hier ein Kreislauf etabliert hat. Das hat sich immer mehr verschärft. Und dieses Mal ist es ja nun so gewesen, dass es eigentlich gar keinen Anlass gab und die Polizei schon um Sieben Uhr abends grundlos mit Hundertschaften durch das Viertel marschiert ist. Da muss ich sagen, dass ich auch nicht in Ruhe feiern kann, wenn hinter mir behelmte Polizisten in voller Kampfmontur stehen. Das ist eindeutig eine Provokation und man hat dann wirklich den kleinsten Anlass, den man sich nur vorstellen konnte, nämlich eine fliegende Flasche auf die leere(!) Bühne, genommen, um dann das ganze Schanzenviertel praktisch leer zu räumen und abzusperren. Das sich daraufhin immer mehr sogenannte normale Kneipenbesucher auf die Seite der Protestierer gesellt haben, ist nicht verwunderlich. Es gibt immer mehr neutrale Beobachter, die sagen, es sei unglaublich, was die Polizei hier abgezogen hat.
“Das stimmt einfach nicht!“
Olli: Also ich hatte den Eindruck, dass es ungleich heftiger war, als in den vergangenen Jahren. Mir schien, dass auch sehr viele Gewalttouristen unterwegs waren.
Peter: Ja, also ich habe auch gehört, dass um die 80 Leute aus Berlin dagewesen sein sollen. Das ist klar, weil es nun in den vergangenen Jahren auch einen gewissen Ruf erlangt hat. Ich habe gehört, dass es jetzt sogar schon international in den Kalendern vermerkt ist. So fahren am 1. Mai auch viele Leute nach Berlin, das wird man nicht verhindern können. Auf der anderen Seite kann man keinesfalls sagen, dass das hier nun Alles etwas Inszeniertes ist, von Leuten, die mit der Schanze gar nichts zu tun haben. Das stimmt einfach nicht! Ich kenne sehr viele Leute aus dem Schanzenviertel, die sagen: „Dieses Fest lassen wir uns nicht nehmen!“, und die diese Art von Polizeieinsatz einfach als provokant empfinden. Und deshalb sind diese Leute verständlicherweise sehr, sehr wütend. Man kann also nicht sagen, es seien jetzt eventorientierte Jugendliche aus Reinbek, oder so. Mag natürlich sein, dass auch solche Leute da sind, aber es sind definitiv ganz viele Menschen aus dem Schanzenviertel. Es sind ja am Sonnabend auch durchaus richtig heftige Sachen passiert. Hast du von der Sache mit dem "Jolly Roger" etwas mitbekommen?
Olli: Nein, bisher noch nicht. Erzähle doch mal!
Peter: Nachts zwischen Zwei und Drei sind wohl ein paar Flaschen geflogen, aber eben nicht vom "Jolly Roger" aus. Der Laden war voll und vor der Tür standen auch ’ne Menge Leute. Es waren also Leute auf der Budapester Straße, die mit Flaschen geworfen haben. Und dann ist die Polizei mit einem Wasserwerfer um die Ecke gekommen und hat volle Kanne in Kopfhöhe auf die Leute geschossen. Die Leute bekamen Panik und versuchten ins Jolly zu flüchten. Aber da passten natürlich gar nicht mehr alle rein. Dabei ist dann wohl auch noch die Scheibe einer darüber liegenden Wohnung zu Bruch gegangen. Danach haben sie dann unter massiven Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray versucht, den Laden zu stürmen. Dabei haben sie bei einer Person wohl noch die komplette obere Kauleiste entfernt. Das muss wohl richtig heftig zugegangen sein.
Olli: Da bin ich erstmal sprachlos! Peter, nichts desto trotz danke ich dir für dieses Interview.
Quelle: Bild
Einen wirklichen Lösungsansatz hat Peter also leider auch nicht parat. Somit bleibt lediglich festzustellen, dass die Politik, gewollt oder ungewollt, vor Jahren versäumt hat, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, bleibt abzuwarten.
Mehr…?
…nicht!
So, so you think you can tell Heaven from Hell,
blue skies from pain.
Can you tell a green field from a cold steel rail?
A smile from a veil?
Do you think you can tell?
And did they get you to trade your heroes for ghosts?
Hot ashes for trees?
Hot air for a cool breeze?
Cold comfort for change?
And did you exchange a walk on part
in the war for a lead role in a cage?
How I wish, how I wish you were here.
We're just two lost souls swimming in a fish bowl, year after year,
Running over the same old ground.
What have you found? The same old fears.
Wish you were here.
…nicht!
So, so you think you can tell Heaven from Hell,
blue skies from pain.
Can you tell a green field from a cold steel rail?
A smile from a veil?
Do you think you can tell?
And did they get you to trade your heroes for ghosts?
Hot ashes for trees?
Hot air for a cool breeze?
Cold comfort for change?
And did you exchange a walk on part
in the war for a lead role in a cage?
How I wish, how I wish you were here.
We're just two lost souls swimming in a fish bowl, year after year,
Running over the same old ground.
What have you found? The same old fears.
Wish you were here.
Pink Floyd, Wish you were here, 1975
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