Montag, 24. August 2009

Schanzenfest 2009


Interview mit Peter Haß

Nach den Vorfällen des diesjährigen Schanzenfestes am 04. Juli 2009 führte ich das folgende Interview mit Peter Haß. Dieses Interview ist Teil meines Beitrages ”Mehr…? …nicht!”.

Peter betreibt gemeinsam mit seiner Frau die Buchhandlung im Schanzenviertel. Der Laden feierte in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Gar zwei Jahre länger lebt Peter bereits im Viertel. Er verfolgt sehr wachsam die Entwicklung des Viertels in den letzten Jahren.

Peter Haß (61) betreibt zusammen mit seiner Frau
seit 1979 die Buchhandlung im Schanzenviertel
Olli: Hallo Peter, wie beurteilst du die Vorkommnisse von Sonnabendnacht nachdem du einmal drüber geschlafen hast?

Peter: Also, ich muss sagen, dass ich in diesem Jahr ein anderes Gefühl hatte, als in den Jahren zuvor. Schon, was das Fest tagsüber anging, hatte ich das Gefühl, dass es sichtbar politischer war, es gab viele Transparente an den Häuserwänden oder auch quer über die Straße gespannt. So zum Beispiel in der Susannenstraße. Dort stand: „Wir wollen nicht, dass das hier zum Ballermann wird!“, an der 1000 Töpfe Baustelle stand: „Spekulanten verpisst euch!“. Dazu kam dann noch die Hausbesetzung, die vormittags in der Rosenhofstraße stattgefunden hat. Also viele politische Aktivitäten, die darauf hindeuten, dass man mit der Entwicklung im Viertel nicht zufrieden ist.

“Da kann man echt nur noch
mit dem Kopf schütteln“


Olli: Die Organisatoren des Schanzenfestes legen großen Wert auf die Selbstbestimmung und Eigenorganisation. Wo liegt das Problem, das Fest anzumelden und welche Konsequenzen hätte das?

Peter: Ich selber habe mal ein Straßenfest in der Bartelsstraße angemeldet. Was ich da an Bürokratie erlebt habe, hätte ich mir im Vorwege nie erträumen lassen. Und da habe ich dann hinterher auch gesagt, dass ich nie wieder im Leben ein Straßenfest anmelden werde. Erstmal wirst du für Alles verantwortlich gemacht, was auf diesem Fest passiert, ohne dass du eine Chance hast, das irgendwie selbst zu regulieren. Zweitens sind da echte Bürokraten am Werk. Bei dem Straßenfest wollten wir beispielsweise von Haus zu Haus ein Transparent spannen. Da wurde von uns verlangt, einen Statiker einzuschalten, um zu überprüfen, ob die Häuser dieser Belastung stand halten. Da kann man echt nur noch mit dem Kopf schütteln und fragen, was das dann noch soll? Zum Schanzenfest muss man allerdings zusätzlich sagen, dass es da auch noch andere Gründe gibt. Das hängt mit der Entwicklung der Roten Flora zusammen. Wenn man damals vor zwanzig Jahren durchgesetzt hätte, dieses riesige Musical, das heute am Holstenbahnhof ist, hier in der Schanze zu machen, dann hätte es wahrscheinlich schon da eine gewaltige Veränderung für das Viertels bedeutet. Durch die Besetzung der Roten Flora ist dann dieses alljährliche Fest entstanden. Das Ganze entwickelte dann von Jahr zu Jahr eine Art Eigendynamik und man hegte nie den Wunsch, sich damit an die Polizei oder die Behörden zu wenden.

Olli: Am Tag des Schanzenfestes hattet ihr vor eurem Laden ein Plakat mit dem Text „Wer lebt, stört.“ aufgehängt. Nun sollen beispielsweise in der Susannenstraße die Parkbuchten zugeschüttet werden, damit die Gastro noch mehr Platz für Bestuhlung hat. Die ganze Straße würde dann gewissermaßen zu einer einzigen Biermeile umstrukturiert. Ist das nicht gerade das pralle Leben?

Peter: Ja, also da wird gelebt, das kann man wohl schon so sagen. Das Problem ist nur, dass dort natürlich auch noch anders gelebt wird. Also von den Leuten, die da wohnen und eben teilweise auch Jobs haben, wo sie mal um Fünf oder halb Sechs aufstehen müssen. Dann gibt es da natürlich auch noch Familien mit kleinen Kindern. Wenn dann in den Sommermonaten bis morgens um Vier die Party abgeht, dann kommt nie die Polizei, um mal darauf zu achten, ob es irgendwie zu laut ist. Das passiert immer nur dann, wenn aus politischen Gründen ein Fest gefeiert wird und deshalb die Leute angeblich nicht schlafen können, dann ist plötzlich zu viel Lärm da. Aber der alltägliche Halli-Galli-Ballermann-Lärm wird ignoriert. Natürlich ist es toll, wenn man ausgeht und das Wetter ist schön. Dann habe ich auch Bock nachts lange noch draußen zu sitzen. Aber ich denke, solange es nur die Anwohner im Schanzenviertel waren, also ohne die ganzen Touristen, hielt sich das in Grenzen. Ich denke, wenn man selbst vor seiner Haustür sitzt und feiert, dann weiß man auch am Besten, wo Schluss ist. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn da meist schon besoffen Horden auf Junggesellenabschied durch die Straßen ziehen.

Die Buchhandlung am Schulterblatt am Nachmittag
Olli: Mittlerweile verschwinden immer mehr nützliche Läden. Zuletzt musste beispielsweise "1000 Töpfe" die Segel streichen, um immer mehr Platz für trendige Boutiquen oder szenige Bars zu schaffen. Siehst du einen Weg, diesen Trend zu stoppen?

Peter: Es ist natürlich schwierig. Zum Einen läuft das Alles auf privater Ebene, also einen Vermieter daran zu hindern, mehr Miete zu nehmen, ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Stadt hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, die ganze Entwicklung zu stoppen, wenn sie per Gesetz Verordnungen erlassen hätte, die nicht den unbegrenzten Zuzug von Gastronomie zulassen. Oder, was die Wohnungen betrifft und was die Stadt jetzt angeblich in den nächsten anderthalb Jahren vor hat, in meinen Augen übrigens zehn Jahre zu spät, ist das Verbot Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Also die Stadt hätte schon die Möglichkeiten gehabt. Aber ich glaube, es ist eher umgekehrt, dass sich Schwarz-Grün sagt, im Rahmen der wachsenden und kreativen Stadt wollen wir die Gentrifizierung. Das heißt, man will ganz bewusst diesen Austausch, dass ärmere Anwohner gehen und dafür die sogenannten „Kreativen“, also einkommensstärkere Bewohner die innenstadtnahen Viertel neu besiedeln.

“Jeder Laden für sich genommen
trägt natürlich keine Schuld“


Olli: In den Medien hört man häufig von Klagen der Betreiber kleinerer Läden, dass deren Scheiben eingeworfen werden. Häufig wird der Szene Willkür vorgeworfen. Soweit ich mich erinnere, ist bei euch allerdings noch nie etwas zu Bruch gegangen. Ist denn jeder kleine Boutiquebesitzer Synonym der „Veryuppiesierung“?

Peter: Darüber kann man sich streiten. Jeder Laden für sich genommen trägt natürlich keine Schuld. Obwohl ich mich dann doch schon manchmal wundere. Denn ich weiß, warum die alten Läden rausgegangen sind. Nämlich weil sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. Wenn denn jetzt die Neuen plötzlich die horrenden Mieten zahlen können, dann kann das ja eigentlich nur angehen, weil sie einen unwahrscheinlichen Reibach machen. Ich habe auch nichts gegen einen Brillen-Designer, der am Schulterblatt neu aufgemacht hat. Allerdings habe ich schon etwas dagegen, wenn die Läden, die da vorher drin waren und durch die Bank weg nützlich waren, verschwinden und dafür kommen nur noch neue Läden, die für die Anwohner völlig uninteressant bis ärgerlich sind. Was ich meine ist, dass ich keine sieben Brillen-Designer brauche. Und ich brauche auch keine zehn Herrenausstatter, keine zwanzig Boutiquen und erst recht nicht die 85-ste Bar. Um das nochmal zusammenzufassen: Alles was nützlich war verschwindet, alles was neu kommt ist für die Anwohner ohne Nutzen. Und dann nochmal was zu den eingeworfenen Scheiben. Ich glaube, man muss da die Wut über die gesamte Entwicklung sehen. Wie gesagt, jeder Laden für sich trägt keine Schuld. Aber sieht man alles zusammengenommen, macht das wütend. Natürlich ist es jetzt schwer einen Schuldigen zu benennen. Ein Stück weit tragen die Politiker die Schuld für diese Entwicklung.

Olli: Im April gab es von Seiten der Innenbehörde den Versuch zum Dialog. Aber der Ausdruck "runder Tisch" scheint ein rotes Tuch zu sein. Warum?

Peter: Die Frage ist, was soll dieser runde Tisch bewirken? Ich meine, was hätte er am Schanzenfest verändern sollen? Gesetzt den Fall, dass wirklich jemand das Fest anmelden würde, war eigentlich klar, was dahinter steckt. Es hatten sich beispielsweise zwei Betreiber der Altonale gemeldet. Da fragen wir uns natürlich, was die Leute von der Altonale mit dem Schanzenfest zu tun haben. Da ist klar, dass das dann ähnlich ablaufen soll, wie die Altonale, nämlich als großes Kommerzgeschäft. Dann kommen die Würstchen- und Bierwagen, die da ihr Geld machen. Wir wollen eben, dass das Schanzenfest ein überwiegend unkommerzielles Fest bleibt. Auch jetzt schon kommen professionelle Trödelhändler. Das ist schwer zu verhindern, aber ansonsten ist das zum großen Teil schon noch alles Eigeninitiative hier.

“Es gab eigentlich gar keinen Anlass“


Olli: Verständlicherweise fällt es schwer, sich auf einen Dialog einzulassen, wenn einem die Lobby fehlt. Da ist dann schon vorab klar, dass sich nichts Grundlegendes ändern wird. Dennoch ist Gewalt wohl keine Alternative, oder?

Peter: Nein, die Gewalt ist keine Alternative. Man muss dabei sehen, dass es diese Gewalt nicht seit zwanzig Jahren gibt. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Und unserer Meinung nach liegt der Ausgangspunkt eindeutig in dem überzogenen Einsatz in den ersten beiden Jahren von Seiten der Polizei. Wenn man sieht, was sonst so Alles bei irgendwelchen offiziellen Festen der Stadt toleriert wird. Hier war der Ausgangspunkt beim ersten Mal ein kleines Lagerfeuer um das herum in etwa zwanzig Leute gesessen haben. Das wurde als Anlass genommen, um hier mit Hundertschaften und Wasserwerfern das ganze Viertel wegzupusten. Das hat dazu geführt, dass sich hier ein Kreislauf etabliert hat. Das hat sich immer mehr verschärft. Und dieses Mal ist es ja nun so gewesen, dass es eigentlich gar keinen Anlass gab und die Polizei schon um Sieben Uhr abends grundlos mit Hundertschaften durch das Viertel marschiert ist. Da muss ich sagen, dass ich auch nicht in Ruhe feiern kann, wenn hinter mir behelmte Polizisten in voller Kampfmontur stehen. Das ist eindeutig eine Provokation und man hat dann wirklich den kleinsten Anlass, den man sich nur vorstellen konnte, nämlich eine fliegende Flasche auf die leere(!) Bühne, genommen, um dann das ganze Schanzenviertel praktisch leer zu räumen und abzusperren. Das sich daraufhin immer mehr sogenannte normale Kneipenbesucher auf die Seite der Protestierer gesellt haben, ist nicht verwunderlich. Es gibt immer mehr neutrale Beobachter, die sagen, es sei unglaublich, was die Polizei hier abgezogen hat.

“Das stimmt einfach nicht!“


Olli: Also ich hatte den Eindruck, dass es ungleich heftiger war, als in den vergangenen Jahren. Mir schien, dass auch sehr viele Gewalttouristen unterwegs waren.

Peter: Ja, also ich habe auch gehört, dass um die 80 Leute aus Berlin dagewesen sein sollen. Das ist klar, weil es nun in den vergangenen Jahren auch einen gewissen Ruf erlangt hat. Ich habe gehört, dass es jetzt sogar schon international in den Kalendern vermerkt ist. So fahren am 1. Mai auch viele Leute nach Berlin, das wird man nicht verhindern können. Auf der anderen Seite kann man keinesfalls sagen, dass das hier nun Alles etwas Inszeniertes ist, von Leuten, die mit der Schanze gar nichts zu tun haben. Das stimmt einfach nicht! Ich kenne sehr viele Leute aus dem Schanzenviertel, die sagen: „Dieses Fest lassen wir uns nicht nehmen!“, und die diese Art von Polizeieinsatz einfach als provokant empfinden. Und deshalb sind diese Leute verständlicherweise sehr, sehr wütend. Man kann also nicht sagen, es seien jetzt eventorientierte Jugendliche aus Reinbek, oder so. Mag natürlich sein, dass auch solche Leute da sind, aber es sind definitiv ganz viele Menschen aus dem Schanzenviertel. Es sind ja am Sonnabend auch durchaus richtig heftige Sachen passiert. Hast du von der Sache mit dem "Jolly Roger" etwas mitbekommen?

Olli: Nein, bisher noch nicht. Erzähle doch mal!

Peter: Nachts zwischen Zwei und Drei sind wohl ein paar Flaschen geflogen, aber eben nicht vom "Jolly Roger" aus. Der Laden war voll und vor der Tür standen auch ’ne Menge Leute. Es waren also Leute auf der Budapester Straße, die mit Flaschen geworfen haben. Und dann ist die Polizei mit einem Wasserwerfer um die Ecke gekommen und hat volle Kanne in Kopfhöhe auf die Leute geschossen. Die Leute bekamen Panik und versuchten ins Jolly zu flüchten. Aber da passten natürlich gar nicht mehr alle rein. Dabei ist dann wohl auch noch die Scheibe einer darüber liegenden Wohnung zu Bruch gegangen. Danach haben sie dann unter massiven Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray versucht, den Laden zu stürmen. Dabei haben sie bei einer Person wohl noch die komplette obere Kauleiste entfernt. Das muss wohl richtig heftig zugegangen sein.

Olli: Da bin ich erstmal sprachlos! Peter, nichts desto trotz danke ich dir für dieses Interview.

Einen wirklichen Lösungsansatz hat Peter also leider auch nicht parat. Somit bleibt lediglich festzustellen, dass die Politik, gewollt oder ungewollt, vor Jahren versäumt hat, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, bleibt abzuwarten.



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