Samstag, 6. November 2010

Mit dem Bus ins Tollhaus

Seit einer wahren Ewigkeit war ich am Freitag das erstemal wieder mit dem Bus unterwegs auf Auswärtstour. Da ich erst relativ pünktlich da erschien, wo früher das alte Clubheim stand, aber heute immer noch die Busse des Fanladens abfahren, machten sich bei meiner kleinen Bezugsgruppe Bedenken breit, ob wir denn noch drei zusammenhängende Plätze ergattern würden. Wer aber regelmäßig einen kühlen Kopf bewahrt, der wird feststellen, dass sich die meisten Probleme von selbst erledigen. So war es auch diesmal. Wie von Zauberhand eröffneten sich beim Einsteigen vor uns drei jungfräuliche Sitze in der ersten Reihe und wir durften bequem direkt neben dem Reiseleiter des Fanladens Platz nehmen. Nun muss ich gestehen, dass ich in Reisebussen normalerweise immer irgendwo in den hinteren Reihen anzutreffen bin. Diesmal saß ich also ganz vorne bei den Erwachsenen.

Kopfgeficke

Das war aber nicht minder interessant, gerade wenn man wie ich gerne empirische Feldstudien über die menschliche Interaktion führt. Diese scheint nämlich auf Busfahrten mit Fußballfans nach festgeschriebenen Regeln zu erfolgen. Da wären zum ersten unsere beiden Fahrer Cem und Joachim, wobei letzterer dieses Attribut eigentlich gar nicht verdient, denn Cem hat ihn weder auf der Hin- noch auf der Rückfahrt auch nur eine Sekunde ans Steuer gelassen. Beide haben sich aber offensichtlich rigoros auf die Fahnen geschrieben, unter gar keinen Umständen direkt mit dem Transportgut, sprich uns Fahrgästen, zu kommunizieren. Das lief dann ausnahmslos über das Medium, seines Zeichens Reiseleiter. Darüber hinaus verzichteten unsere zwei Kutscher vollends auf irgendwelche rhetorischen Schnörkel.

Als beispielsweise einige der Fahrgäste im Gang vor der Toilette warteten, deutete Joachim nur trocken mit dem Daumen nach hinten: „Hinsetzten!“ daraufhin ergriff das Medium das Mikro und forderte die Leute auf, doch bitte wieder Platz zu nehmen. Richtig spannend wurde es dann, als die erste CD mit St. Pauli-Songs durchgelaufen war. Cem dankte Gott, denn wäre es noch länger gegangen, hätte er nach eigener Aussage kotzen müssen. Stattdessen warf er seine eigene Techno-Auswahl in den Player. Ihr macht euch kein Bild, wie neugierig ich auf die Reaktion aus den hinteren Reihen war. Da musste ich dann aber nicht wirklich lang drauf warten, denn dies löste nun auf der anderen Seite spontane Übelkeit aus. Also kam jemand nach vorne, erklärte dem Medium die Sachlage und bat freundlich um andere Mucke. Angeblich wäre sogar Oldie 95(!) ok gewesen. Na, Leute nun mal keine falsche Bescheidenheit an den Tag gelegt, dachte ich noch, als Cem erwiderte: „Kein Problem, solange es bloß nicht wieder so ein Kopfgeficke ist!“ Blöd, dass der angebotene Tonträger aus Cems Sicht wieder Kopfgeficke beinhaltete und er die anschließenden „Lauter, lauter!“-Rufe einfach ignorierte. Mensch Leute, habt ihr denn gar nichts gerallt? Ihr müsst ans Medium ran!

In diesem Stil ging’s dann weiter bis nach Schalke, wobei sich die Stimmung nicht wirklich schlecht aber in jedem Fall sehr interessant entwickelte. Mir hat es jedenfalls einen Heidenspaß bereitet, Cem und seinen Beisitzer zu belauschen, wie knallhart sie sich auf der letzten Rainbow-Tour nach Rimini gegenüber Medium und Fracht durchgesetzt haben.

Wie auch immer, gut zwei Stunden vor dem Anpfiff kamen wir dann auf Schalke an. Wer noch nicht dort war, dem sei gesagt, dass er sich auch guten Gewissens nach Stellingen begeben kann. Denn da sieht’s kein Stück anders aus. Weitläufige Riesen-Parkplätze um die hellerleuchtete Arena herum – das war’s! Was also sollten wir mit unserer Zeit anfangen? In der Erwartung, dass vielleicht noch irgendwas passieren könnte, standen wir noch eine halbe Stunde vor dem Gästeeingang im Regen herum. Wahrscheinlich werde ich euch nicht überraschen, wenn ich offenbare, dass sich natürlich nichts Erwähnenswertes mehr abspielte. Also rein.

Auf Schalke ist übrigens nicht nur der Stadionname an einen zahlungskräftigen Sponsor verramscht worden, sondern jede einzelne Tribüne. Wir befanden uns beispielsweise in der Veltins-Arena auf der Erdgas-Tribüne, Block VW. Klasse!

Niederer Sing Sang

Zum Spiel will ich gar nicht viel schreiben. Es zieht sich halt durch, dass wir uns hervorragend als Aufbaugegner für angeschlagene Teams eignen. Ist nicht wirklich was Neues. Und auch, wenn wir in der einen oder anderen Situation (mal wieder) ein wenig Pech hatten, so sind zweieinhalb gut vorgetragene Angriffe über 90 Minuten einfach zu wenig. Null Punkte und 1:8 Tore aus den letzten drei Spielen sprechen eben auch eine klare Sprache. Jetzt weiß wenigstens jeder, worum es in dieser Saison geht, und die Träumereien von was weiß ich was hören endlich auf.

Spätestens nach dem 0:2 hatte ich dann auch endgültig das Bedürfnis, meine Schnauze zu halten. In diesem winzigen Tortenstück, das als Gästeblock fungiert, wird man in dieser ultramodernen, sterilen Halle sowieso nicht wahrgenommen. Zumal an Fanutensilien vom Konfetti über Tapeten, Blockfahnen und Doppelhalter wirklich alles verboten war. Selbst ein durchgestrichenes Marihuanablatt gab’s am Einlass zu bestaunen. Echte Partybremsen sind das im Revier!

Offensichtlich ging es aber nicht allen so wie mir. Die Ultras sangen tapfer und schwenkten durchgängig bis zum bitteren Ende ihre Fähnchen. Kann ja jeder machen wie er will, meine Stimmungslage traf es diesmal nicht. Den Typen vor mir kann ich aber genauso wenig verstehen. Nur zu pöbeln und zu kritisieren, USP sänge alles andere nieder, ist mindestens genauso großer Schwachsinn. Denn da muss man sich dann doch die Frage gefallen lassen, was denn da nun angeblich niedergesungen wurde. Jedenfalls habe ich nicht mal im Ansatz irgendetwas wahrgenommen, was man da hätte niedersingen können – selbst wenn man gewollt hätte.

Aber bevor ich mich hier um Kopf und Kragen schreibe, möchte ich euch einfach das folgende Video anbieten. So in etwa bleibt das Tollhaus Schalke bei mir hängen. Stellt euch einfach das Dach noch geschlossen vor, die Atmosphäre trifft es sehr gut. Und die Mucke ist ganz bestimmt nach Cems Geschmack. Herrlich verrückt!





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