Mittwoch, 24. Februar 2010

DVD

Eisern vereint

Die Stadionbauer von der Alten Försterei

ÜBERSTEIGER #98

Als sich an einem Wintertag im Dezember des Jahres 2006 der allseits beliebte Präsident des FC St. Pauli medienwirksam auf einen Bagger schwang, um symbolisch den Abriss der alten Südtribüne des Millerntor-Stadions zu inszenieren, wurde ihm von vielen Seiten Übereifer vorgeworfen. Schließlich fehlten zu diesem Zeitpunkt noch diverse wichtige Unterlagen zur endgültigen Erlangung der Baugenehmigung. So zog es sich dann noch satte vier Monate hin, bis endlich konstruktiv gearbeitet werden konnte und das Littmann-Loch nach und nach der wachsenden neuen Tribüne wich.

Was beim FC St. Pauli wegen gefühlter Konzeptlosigkeit zu fassungslosem Kopfschütteln allerorten führte, war beim 1. FC Union, dem Berliner Traditionsverein aus dem Stadtteil Köpenick brutale Randbedingung.

Binnen eines Jahres musste aufgrund der Baufälligkeit der Alten Försterei ein generalüberholtes Stadion erschaffen werden, andernfalls hätte der dauerhafte Umzug in den verhassten Jahn-Sportpark gedroht. Mit wenig Geld, (der Bezirk gewährte einen Kleinstzuschuss über lächerliche 600.000 Euro), aber umso mehr Mut, wurde das Projekt in Angriff genommen. Von Beginn an war klar, dass der Erfolg nur unter Mithilfe der Fans zu realisieren war. Nahezu ohne planerische Vorlaufzeit starteten die Arbeiten. Planer Dirk Thieme beschreibt die damalige Situation folgendermaßen: „Wir fangen jetzt erstmal an, und gucken dann, wie.“ Bei jeder zu findenden Lösung hieß es zuallererst: „Was kostet sie? - Und davon möglichst wenig! Dann ging es darum, wer die Lösung realisiert und auch das durfte nichts kosten.“

Der Berliner Filmemacher Andreas Gräfenstein und der Hamburger Kameramann Fabian Daub begleiteten den Umbau. Von der Grundsteinlegung bis zur feierlichen Einweihung am 8. Juli 2009 gegen den großen Nachbarn aus dem Westen, Hertha BSC, war das Team stets ganz dicht dabei. Herausgekommen ist eine beeindruckende Dokumentation über eine unkonventionelle Stadionrekonstruktion, die sich wohltuend von den austauschbaren Arenen abhebt, die heute wie Pilze auf den Feldern und Wiesen der Nation aus dem Boden ploppen. Dabei ist der Film vollgestopft mit bewegenden Liebesbekenntnissen an einen Fußballverein, der in beiden Systemen stets hart um seine Existenz kämpfen musste.


Die feierliche Eröffnung
Manche der insgesamt 2.500 helfenden Fans verbrachten ihren Jahresurlaub auf der Baustelle und hängten noch zwei Wochen Krankschreibung dran, nur um bei -3°C Bewehrungskörbe zu flechten oder Beton zu verdichten. Andere halfen nur ein oder zwei Tage.


Ein arbeitsloser und alkoholkranker Maler sah den Stadionausbau als Chance für den Wiedereinstieg in einen geregelten Alltag. Studenten arbeiteten in ihren Semesterferien am Rüttler statt am Schreibtisch. Familien machten Wochenendausflüge mit Schaufel und Besen. Die 90-Jährige Ingeborg Lahmer backte Kuchen für die Arbeiter und weiß über das alte, ehrwürdige Gebäude, in dem heute die neue Geschäftsstelle residiert, das Folgende zu berichten: „Dort saß früher Karl Marx. Der war nicht verheiratet, dem hat `ne Frau gefehlt. Wenn da mal ein Ball rüber flog, hat der die Bälle nicht zurückgegeben. Der hatte `n Tick! Karl Marx! Keine Ahnung, wo Karl Marx abgeblieben ist…“
Geblieben ist Eisern Union. Und pünktlich mit dem Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga erstrahlt sie im leuchtenden Glanze:

die neue Alte Försterei!


Eisern vereint (2010), Dokumentarfilm von Andreas Gräfenstein, 82 Min. Spielzeit, eisern-union-shop.de, 14,95 €



_______________________________________________

Teilen


... comment