Sonntag, 9. Januar 2011

Wo unsere Fahne weht…

Es geht nicht mehr um Kompromisse

Neulich fragte mich jemand, ob ich ernsthaft der Meinung sei, es würde irgendwen im Verein interessieren, wenn ich mein Profilbild auf Facebook rot einfärbe. Nein, daran glaube ich in der Tat nicht. Der Grund, weshalb ich es dennoch getan habe, ist der Folgende. Je mehr Leute über rote Profilbilder stolpern, desto mehr Leute fragen sich, was es damit auf sich hat und fangen an, sich für die Hintergründe zu interessieren.

Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn leider gibt es immer noch massenhaft Menschen, die die Petition der Sozialromantiker unterstützen würden, sofern sie denn von ihr wüssten. Aber leider lesen einige Leute weder die einschlägigen Blogs oder bewegen sich regelmäßig im Forum. Und da die gängigen Printmedien das Thema nach wie vor relativ klein halten, müssen wir versuchen, die Leute auf anderen Wegen ins Boot zu holen. 3.500 Unterschriften sind wahrlich kein Pappenstiel, aber es ist trotzdem nur ein Bruchteil aller Zuschauer im gesamten Stadion.

Häufig höre ich auch das Argument, die Forderungen der Petition seien zu drastisch formuliert und mit der Androhung von Widerstand entziehe man sich jegliche Basis für konstruktive Gespräche.

Wüsste ich nicht über die Hintergründe, würde ich wahrscheinlich sogar beipflichten. Fakt ist jedoch, dass mehrfach gegen die Leitlinien des Vereins vom November 2009 verstoßen wurde, welche ganz klar herausstellen, dass die Fanszene die Grundlage für die Vermarktungsfähigkeit des Klubs darstellt und somit das eigentliche Kapital des Vereins verkörpert.

Wenn sich nun die Vereinsführung bei Kritik gewissermaßen tot stellt und versucht Dinge einfach auszusitzen, so geschehen beim Kapitel Susis Tittenshow, dann kann in der Fanszene (dem Kapital des Klubs also) schon mal das Gefühl aufkommen, nicht ernst genommen zu werden. Geradezu verhöhnt habe ich mich gefühlt, als dann Sven Brux via Forum die LED-Banner Aktion gegen Mainz versuchte abzuwiegeln, in dem er behauptete, lediglich zehn Leute hätten ihm eine Email zum Thema geschickt und deshalb könne es ja so schlimm gar nicht gewesen sein.

Somit haben nicht die Sozialromantiker, sondern der Verein die Latte für etwaige Kompromisse exorbitant hoch gelegt. Beim Thema LED beispielsweise wäre es für mich durchaus akzeptabel gewesen, wenn vor dem Spiel ein Sponsor XY die Zwischenstände der ersten drei Ligen präsentiert und in der Halbzeit stadtteilbezogene Werbung über die Banner flimmert.

Jetzt aber ist das Kind in den Brunnen gefallen und es geht zuallererst nicht mehr darum, welche Mittelwege gemeinsam beschritten werden können. Zunächst einmal zeigen wir den Vereinsoberen jetzt deutlich auf, mit wem sie es zu tun haben und wer hier bestimmt, was geht und was nicht.


Ganz sicher wird es diesmal nicht ganz so leicht, unsere Forderungen durchzusetzen, wie seinerzeit bei der Verhinderung des Millerntalers. Im Unterschied zu damals geht es diesmal nämlich darum bestehende Einnahmequellen wie Logen oder Business-Seats zurückzubauen. Da geht’s um fest eingeplante Gelder und der Verein kann nicht einfach die Arme heben und sagen: „Okay, okay, dann lassen wir es halt sein!“
Deshalb kommt hier noch einmal mein Apell:

Unterstützt die Sozialromantiker,
Bringt das Thema unter die Leute,
Tragt das Symbol unseres Widerstandes, den Jolly Rouge, hinaus,
Durchwühlt eure Kleiderschränke nach roten Klamotten,
Bastelt Tapeten,
Färbt euch die Haare rot,
Schleppt am Sonnabend rote Luftballons ins Stadion,
Sauft euch rote Nasen an,
Ändert eure Profilbilder auf Facebook
Dichtet Chants, wie ich es beispielsweise mit meinem Kumpel Pixi von den AstraLikern getan habe

Zur Melodie von „My Bonnie is over the Ocean“ singen wir dann:
St. Pauli is always in motion
Kommerzkack, den wollten wir nie
St. Pauli is always in motion
Oh bring back St. Pauli to me

Bring back, bring back
Oh bring back St. Pauli to me, to me
Bring back, bring back
Oh bring back St. Pauli to me

The last time I went to the stadium
Ich dachte St. Pauli sei tot
Doch heut‘ habe ich wieder Hoffnung
Denn überall sehe ich ROT

Bring back, bring back
Oh bring back St. Pauli to me, to me
Bring back, bring back
Oh bring back St. Pauli to me

Lasst euerer Kreativität freien Lauf! Alles, was gefällt und der Sache dient, ist erlaubt! Dieser Widerstand ist vielschichtig und bunt rot! Der FC St. Pauli gehört uns und ist so lebendig, wie lange nicht mehr! Ich habe die Fanszene selten so entschlossen erlebt und bin deshalb voller Zuversicht!

Und dann schaut euch doch noch die Ansage von Dicken beim Festival im Sommer vor knapp 20 Jahren an. Wohlgemerkt war die aktuelle Diskussion damals überhaupt noch nicht absehbar:

Ich verneige mich vor dem Propheten!




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Montag, 18. Oktober 2010

Linke Spießer

Drei Wochen war mein Rechner krank,
jetzt läuft er wieder – Gott sei Dank!

Und somit habe ich pünktlich zum ersten Heimsieg der Saison endlich mal wieder das zweifelhafte Vergnügen, euch mit meinem obskuren Gedanken zu belästigen.

Um ehrlich zu sein, nervte das Gefasel um die angebliche Heimschwäche ja auch langsam. Denn betrachtet man sich mal unsere bisherigen Gegner, ganz unabhängig von der Tatsache, ob zu Hause oder in der Fremde gespielt wurde, so haben wir mit Ausnahme der Domstädter alle Teams geschlagen, die ich vor der Saison unten erwartet hätte. Andersherum fuhren wir sämtliche Niederlagen gegen Mannschaften ein, mit denen im Vorwege im oberen Tabellendrittel zu rechnen war. Aber auch ohne mir dieser schlüssigen Argumentation wegen selbst auf die Schulter klopfen zu wollen, frage ich mich, ob ich es mir an dieser Stelle vielleicht nicht doch etwas zu leicht mache.

Seit dem Neubau der Haupttribüne habe ich den Eindruck, dass das Millerntor seinen einst gefürchteten Festungscharakter zunehmend verliert. Beim Spiel gegen Dortmund knuffte mir mein Kumpel Marko zum Wiederanpfiff der zweiten Halbzeit in die Seite: „Ey Olli, was ist denn eigentlich da drüben los? Das geht ja gar nicht!“ In der Tat fragte ich mich beim Blick in die untergehende Sonne, ob das Klientel auf den schicken Business-Seats der neuen Tribüne vielleicht gerade die Ultras kopierte und eine Blockade durchzog, um auf die Rechte und Interessen der elitären Schicht aufmerksam zu machen. Habe ich da irgendetwas verpasst? Eventuell kann mich da ja mal jemand aufklären, denn gestern sah es zum Anstoß der zweiten 45 Minuten kaum besser aus. Auch wenn sich normalerweise Wortspiele mit Namen selbst verbieten, aber die Bänke waren wie leer gefegt. Mittlerweile sonnen sich die Prominenten aus Politik und Wirtschaft im Glanze unseres Klubs und tun so, als seien sie schon immer dabei gewesen. Aber die, die wirklich seit Ewigkeiten dabei sind und die Kultur der alten Haupttribüne geprägt haben, werden an den Rand verdrängt.

Irgendwie kann ich mich nicht dagegen wehren, aber mich erinnert das ganze doch sehr stark an die stadtpolitische Entwicklung im Stadtteil. Die alteingesessenen Bewohner werden systematisch vertrieben und stattdessen wundert man sich, dass ganze frischsanierte Häuser leer stehen, bloß, weil ein Vermieter den lächerlichen Spottpreis von 1600,-€ Kaltmiete verlangt. Schön, dass da gestern mal wieder ein Zeichen gesetzt wurde und ein entsprechendes Haus in der Juliusstraße besetzt wurde. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man schon wieder drüber lachen, wie dilettantisch unsere Freunde von der Exekutive anschließend versuchten, sich Zutritt zu verschaffen. Wofür ein halbwegs talentierter Feuerwehr- oder Zimmermann mit der Kettensäge fünf Minuten gebraucht hätte, mühten sich die Experten der Staatsmacht eine geschlagene Dreiviertelstunde ab. Die Spuren des geballten Unvermögens möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten.

Kettensägenmassaker
Derweil feiern sich die grünen Steigbügelhalter aufgrund der großen politischen Erfolge dieser Legislaturperiode selbst. Und zwar auch auf den Businessplätzen und in den Séparées unseres Stadions. Was aber meinen die eigentlich genau, wenn sie davon sprechen, was sie alles erreicht haben?

Moorburg? Elbvertiefung? Stadtbahn? Primarschule? Citymaut?

Und dann wundern sie sich noch, wenn ihnen mal in der Kneipe ein Bier verwehrt wird, dabei bräuchte man doch dringend etwas zum Nachspülen, wenn man soviele Kröten schluckt. Persönlich kann ich da nur noch mit dem Kopfschütteln und muss feststellen, dass das einzige, was die Grünen erreicht haben ist, dass sie für mich auf Jahre hinaus in Hamburg nicht mehr wählbar sind.

Ihr seid nichts als…




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Dienstag, 30. März 2010

Wo stehst du wirklich?

Der ultimative Test gibt dir die Antwort

Heureka! Was hat die Blockade am Sonntag vor der Südtribüne doch für eine große Aufregung gesorgt. Wenn man die ganzen Diskussionen im Forum oder auf anderen Plattformen verfolgt, könnte man den Eindruck gewinnen, manch einer weiß selbst gar nicht mehr so genau, was er eigentlich denkt und welche Position er vertritt. Mich selbst möchte ich da keinesfalls ausschließen. Deshalb habe ich exklusiv für euch diesen einfachen, aber verblüffend effizienten Test entwickelt.

Beantworte einfach die folgenden elf Fragen ehrlich mit „Ja, ich stimme zu“ oder „Nein, ich stimme nicht“. Beantwortest du eine Frage mit „Ja“, so lies bitte die nächste Frage. Lautet deine Antwort auf irgendeine Frage „Nein“, so begib dich bitte gleich zur Auswertung.

Die elf Fragen

1.) Ist soweit alles klar?

2.) Empfindest du die von der Polizei getroffene Verfügung, keine oder eine sehr stark limitierte Anzahl von Eintrittskarten an Gästefans zu geben, als massiven Einschnitt in die Fanrechte?

3.) Findest Du es richtig, gegen so eine starke Einschränkung der Persönlichkeitsrechte deinen Protest zu äußern?

4.) Begrüßt du es, dass sich Vertreter beider Vereine, Präsidien und Fanszene, im Vorfeld Gedanken über eine tragbare und einvernehmliche Lösung machen?

5.) Findest du es toll, dass es nach so einer Runde einen breiten Konsens gibt?

6.) Bist du enttäuscht, dass der tolle Konsens bei der Polizei keinen Anklang findet?

7.) Bist du noch mehr enttäuscht, als dir das Präsidium deines Vereins eine von der Polizei erlassene Verfügung, die nichts mit dem vereinbarten Konsens zu tun hat, als bestmöglichen Kompromiss zur Wahrung der Fanrechte unterjubeln will?

8.) Findest du es immer noch richtig, deinem Unmut freien Lauf zu lassen und stimmst mit der Meinung überein, dass der Protest eine größtmögliche Medienwirksamkeit erreichen muss?

9.) Findest du es klasse, dass sich viele Leute und Gruppen intensive Gedanken machen und darüber diskutieren, wie man so einen Protest am besten gestaltet und dabei den Schaden für die Mannschaft möglichst gering hält?

10.) Ist dir bewusst, dass eine optische Protestaktion den imposantesten Eindruck hinterlässt, wenn möglichst viele Menschen mitmachen?

11.) Bist du für dieses hehre Ziel bereit, fünf Minuten deiner Freizeit zu opfern, auch wenn diese fünf Minuten die ersten in einem Derby sind?


Auswertung

A) Du hast ALLE Fragen mit „Ja“ beantwortet

B) Du hast EINE Frage mit „Nein“ beantwortet




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Mittwoch, 24. März 2010

1, 2, 3 – Letzte
Chance vorbei!

Nun ist es also amtlich! Das Präsidium um unseren Sonnenkönig weigert sich mit Vehemenz, der Forderung der aktiven Fan-Szene zu folgen und gegen die Verfügung der Polizei, das Gästekartenkontingent auf 500 Tickets zu limitieren, zu klagen. Ob eine Klage nun aussichtslos erscheint oder sogar den viel zitierten Präzedenzfall schaffen würde, der der Staatsmacht für die Zukunft Tür und Tor öffnen würde, darüber lässt sich wahrlich streiten.

Allerdings haben wir jetzt mit der sogenannten 500er-Lösung die denkbar schlechteste aller Varianten an der Backe. Verlieren können dabei nur die Fußballfans. Verläuft am Sonntag wider erwarten alles friedlich, fühlt sich die Polizei in ihrem Vorgehen bestätigt, knallt es dennoch, dann waren selbst die 500 Gäste noch zu viel.

Aber noch einmal der Reihe nach. Am 9. März gab es ein Treffen zwischen den Präsidien und den Fanvertretern beider Vereine. Dabei kam von Rostocker Seite der Vorschlag, das Gästekontingent von 1900 auf 1400 zu reduzieren. Dieser Vorschlag wurde von allen beteiligten Seiten für akzeptabel befunden und anschließend der Polizei vorgetragen. Statt nun aber auf der verabredeten Zahl von 1400 zu beharren, ließ sich unser allseits geliebter Fanpräsident auf schlappe 500 Gästekarten runterhandeln und verkaufte diesen faulen und vor allem nicht abgestimmten Kompromiss auch noch als einvernehmlichen Lösung, zur bestmöglichen Wahrung der Interessen und Rechte der Fans.
Nur nebenbei bemerkt biss Corny vorab selbst bei der DFL auf Granit, als er versuchte, alle Rostocker Fans vom Spiel auszuschließen. Das war jedoch selbst der DFL zu heiß, denn die wollten sich logischerweise nicht zum Feindbild sämtlicher Fußballfans in Deutschland machen. Aber das sei nur mal so am Rande erwähnt.

Jetzt haben die Rostocker ihre eigenen Konsequenzen gezogen und beschlossen, das Spiel komplett zu boykottieren und fügen somit dem FC St. Pauli wenigstens noch den größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden zu. Und ganz ehrlich: Ich kann sie sogar verstehen! Das Statement des FCH findet ihr hier.

Da wäre mir eine vom Team Green verfügte „Nulllösung“ ungleich lieber gewesen. Zwar ist der Ausschluss von Gästefans eine Zumutung am Rande des Hinnehmbaren, aber immerhin hätte der FC St. Pauli solch eine Verfügung der Polizei – eine anschließende gerichtliche Klage hin oder her – aufs Schärfste verurteilen können. Fans und Präsidium hätten Schulter an Schulter gestanden und es hätte eine gemeinsame, klare Aussage geben können:

„Not in our name!“

Diese Chance hat Herr Littmann durch seinen erneuten Alleingang wieder einmal leichtfertig vertan. Schade! So bleibt den kritischen Fans nichts anderes übrig, als am Sonntag mit verschiedenen Aktionen auf die unerträglichen Zustände hinzuweisen. Im schlimmsten Fall verliert das Spiel durch die Uneinsichtigkeit des Präsidiums den Heimspielcharakter und womöglich geht das Spiel deshalb verloren. Dann haben wir in der kommenden Spielzeit wieder zwei Derbys gegen Hansa im Terminkalender stehen. Und jetzt glaubt wohl keiner ernsthaft, dass wir für die Partie an der Ostsee mehr als 500 Karten bekommen werden.

Also Leute, verfolgt die einschlägigen Kanäle und informiert euch über etwaige geplante Protestaktionen und lest das Flugblatt, das am Sonntag in großer Auflage verteilt werden wird.

Beteiligt euch rege, denn hier geht es um mehr, als ein bloßes Fußballspiel. Es geht um mehr, als den Aufstieg. Es geht um unsere ureigenen Interessen und Freiheiten als Fußballfans!

Dafür lasst uns gemeinsam mit allen erdenklichen, friedlichen Mitteln kämpfen!





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Donnerstag, 17. September 2009

Schanzenfest Reloaded


Warum man beim Eisessen nicht
in ein Wespennest stechen sollte

Eigentlich war ich am vergangenen Sonnabend aufgrund des friedlichen Ablaufes der zweiten Auflage des Schanzenfestes 2009 total happy.

Zum einen, weil die Staatsmacht diesmal, auch wenn Käpt‘n Ahlhab Gegenteiliges behauptet, eine komplett andere Taktik fuhr und somit bis in die späten Abendstunden weit und breit kein Bulle in angstein-
flößender Kampfmontur zu sehen war. Zum anderen freute mich das besonnene und deeskalierende Verhalten der Anwohner, die Feuer löschten oder ein paar über die Stränge schlagende Besucher zur Räson riefen.

So holte sich beispielsweise eine kleine Gruppe Halbwüchsiger, die als eine Art Mutprobe fremden Frauen an den Arsch griff, einen gehörigen verbalen Einlauf ab.

Infolgedessen gab es, abgesehen von ein paar alkoholbedingten Ausfällen, eigentlich auch nichts zu beklagen.

Am Abend genoss ich mit einigen Freunden die Party im Flora-Park und später dann noch in der Rosenhofstraße.


Dabei war auch Moische, einer meiner besten Kumpel, der sich un-
vermittelt einer Laberattacke erwehren musste, weil er seinen leeren Pappbecher (!) auf die Straße geworfen hatte.

Da habe ich mich schon gefragt, wie man auf der einen Seite mehr rechtsfreie Räume fordern kann, um sich dann aber im selben Atemzug über eine lächerliche Ordnungswidrigkeit aufzuregen. Wohlgemerkt spreche ich hier von einem weggeworfenen Pappbecher auf einem Straßenfest, an dem sich mehrere tausend Leute beteiligten!

Nun, mein lieber Freund Moische hat einen klitzekleinen Fehler, den ich euch bisher verschwiegen habe. Unglücklicherweise unterstützt er den Verein aus der Vorstadt. Und da die St. Ellinger an diesem Abend gegen den VfB Stuttgart spielten, trug Moische noch sein Rauten-Jersey. Da behaupte ich jetzt mal kackfrech, dass dies der eigentliche Grund war, ihn wegen des Bechers anzumachen.

Soviel nur zum Thema „Eine Stadt für Alle“.

Sofern ihr schon mal die eine oder andere meiner Kolumnen gelesen habt, werdet ihr wissen, dass ich der Letzte bin, der sich ziert, die Rothosen zu provozieren oder sie beim geringsten Anlass mit Hohn und Spott zu überschütten. Daraus aber ein Politikum zu machen ist einfach nur arm!

Spätestens die Demo gegen Polizeigewalt nach dem Überfall auf das Jolly Roger beim letzten Schanzenfest, an der sich auch mehr als 50 Leute aus der Supporters-Szene beteiligten, hat gezeigt, dass es bei den Rautenträgern eben nicht nur Idioten gibt. Das verdient höchsten Respekt. Zugegebenermaßen weiß ich nicht, ob ich mich umgekehrt an einem HSV-Protestmarsch beteiligt hätte.

Auch wenn es ein wenig abgedroschen klingt, aber es kann nun mal nicht jeder St. Pauli Fan sein, und wer frei von Fehlern ist, der werfe den ersten Stein.

Aber auch von dieser Sorte scheint es ja ein paar Leute Kiddies zu geben. Anders jedenfalls kann ich mir nicht erklären, wie man im Verlaufe eines absolut friedlichen Straßenfestes, das wahrlich zu einem großen politischen Erfolg hätte werden können, auf die abstruse Idee kommen kann, eine Bullenwache anzugreifen. Damit zwang man die Staatsmacht förmlich, aktiv zu werden. Oder ist tatsächlich jemand ernsthaft der Meinung, dass die Polizei diese Provokation hätte ignorieren können?

Ob die Attacke gegen das PK16 die Bullen nun dazu berechtigt, kategorisch das ganze Viertel zu räumen, weil die Angreifer angeblich in der Menge untergetaucht oder, wie andere Quellen behaupten, ins Karo-Viertel geflüchtet seien, ist eine völlig andere Frage.

Mir ist die Intention der Provokateure bis dato jedenfalls absolut schleierhaft. Es ist, als würde man im Sommer beim Eisessen über die vielen Wespen klagen und wenn auf einmal keine da sind, dann sticht man halt ins Wespennest. Alles nur, um seine Klischees bewahrheitet zu sehen ein bisschen Action zu haben.

Ohne Worte…

Nur noch Kopfschütteln rief bei mir dann die Meldung hervor, dass später in der Nacht irgendwelche Vollpfosten den Container des „Jesus Centers“ im Flora-Park aufbrachen und das dort für die Kinder des Viertels gelagerte Spielzeug zum Barrikadenbau missbrauchten und es anschließend anzündeten.

Da muss man kein gläubiger Atheist sein, um sowas scheiße zu finden.

So, jetzt kratzt gefälligst euer Taschengeld zusammen, damit ihr wenigstens diesen materiellen Schaden ersetzen könnt!

I’m a better anarchist than you!




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Donnerstag, 9. Juli 2009

Angriff auf das Jolly Roger

Kurz und fast kommentarlos. Im folgenden Video gibt es die ersten bewegten Bilder vom Angriff auf das Jolly Roger, bei dem der freie Journalist Sven Klein in der Nacht zum Sonntag vier Zähne einbüßte.


Quelle: STPAULI-FORUM.DE
Wenigstens stellt sich diesmal der Verein hinter seine Fans. Dafür gibt’s heute von mir ein wirklich aufrichtiges:

“Danke Corny!“

Wen nur die Vorfälle vorm Jolly interessieren, der sollte drei Minuten vorspulen!







Nachtrag zur Demo vom 10/07/2009



Innerhalb von so kurzer Zeit 2000-2500 Leute zur Demo zu mobilisieren war beeindruckend.


Im Rahmen meiner Recherche landete ich irgendwann auch im HSV-Forum.
Wie erwartet, tummeln sich dort einige wirklich hochgeBILDete Leute. Mein Besuch zeigte mir aber einmal mehr, dass eben nicht alle HSVer doof sind. Laut der Diskussion dort, waren am Freitag wohl auch um die 50 Blaue auf der Demo.

Dafür gibt’s meinen uneingeschränkten Respekt und ein riesengroßes Dankeschön für Eure Solidarität!

Quelle: fbs-gaming.de


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Montag, 6. Juli 2009

Mehr…?
…nicht!

Außer ein paar wenig aussagekräftiger Testspiele, der Tatsache, dass wir in der ersten Pokalrunde gegen einen Fünftligisten ran müssen und dass der noch nicht genau terminierte Spielplan endlich raus ist, ist die Meldung über die Verpflichtung von Deniz Naki wohl die wichtigste sportliche Nachricht der letzten Tage.

Mehr…?
…nicht!

Da aber wohl nirgendwo sonst in der Republik ein Verein so eng mit der eigenen Herkunft verwoben ist, will ich mich heute einem Thema annehmen, dass mich in den vergangenen Tagen viel intensiver beschäftigt hat, als der Fußball und welches St. Pauli im Ganzen und das Schanzenviertel im Besonderen betrifft.
Am Sonnabend jährte sich das selbstbestimmte Schanzenfest zum 21-mal.

Nicht erst an diesem Nachmittag, als ich das bunte Treiben und die ausgelassene Stimmung auf dem Flohmarkt genoss, stellte sich mir die Frage, warum es eigentlich einer behördlichen Genehmigung bedarf, wenn Anwohner in Eigenregie und friedlicher Absicht ein unkommerzielles Straßenfest organisieren wollen. Zeigt dies nicht lediglich, dass sich die Menschen für ihr Viertel interessieren und überdies auch noch bereit sind, sich aktiv für die eigene Lebensqualität einzusetzen? Ist dieses Engagement nicht vielmehr wünschenswert oder gar förderungswürdig?
Nun, ganz offensichtlich sehen das nicht Alle so.

Das Schulterblatt um zehn vor Zwei

Die Message ist klar!
Mehr…?
…nicht!

Später, am frühen Abend, teilte ich mit vielleicht 400 Gleichgesinnten die entspannte Atmosphäre im Flora-Park. Zu elektronischer Musik tanzte sich die ausgelassene Menge in Trance. Über der ganzen Szenerie waberte eine schwere, nach Marihuana duftende Wolke. Umso grotesker mutete es an, als plötzlich, aber nicht eben unerwartet, die Exekutive auf der Bildfläche auftauchte und wie Westernhagens „Stinker“ über die angrenzende Hecke luscherte.

Die ausgelassene Party

Die Staatsmacht sorgt für Unruhe
Kurze Zeit später, es muss mittlerweile Zehn gewesen sein, vernahm ich die ersten Böllerexplosionen aus Richtung Schulterblatt. Das war dann wohl das finale Zeichen für die Ordnungshüter auch der bis hierhin absolut friedlichen Party ein jähes Ende zu setzen.

Was sich im Anschluss abspielte, soll das folgende Video einmal repräsentativ darstellen. Ich möchte euer Hauptaugenmerk auf die drei Typen lenken, die es ohne jede Gewalt fertigbringen, einen Wasserwerfer aufzuhalten.

An dieser Stelle stand ursprünglich ein Video, dass drei Typen mit heruntergelassenen Hosen zeigte, die sich vor einen anrückenden Wasserwerfer gelegt hatten. Der erste fing gleich mit dem Onanieren an. Tja, das ist dann wohl der Zensur zum Opfer gefallen…

Man kann diese Art des Widerstandes geschmacklos finden, dreierlei ist sie indes ohne jede Diskussion:

Kreativ - Couragiert - Gewaltfrei!

Mehr…?
…nicht!


Alternativ möchte ich euch den diesen Film nicht vorenthalten:


Im Nachfolgenden beobachtete ich die mittlerweile elanvoll auf dem Schulterblatt eingesetzten Wasserwerfer aus der Juliusstraße heraus. Als dann hastig die „Black Unit“ (schwarzer Anzug, schwarzer Helm) auf mich zustürmte, wurde die Lage zusehends unübersichtlicher, und ich fand mich kurzerhand hinter einer Polizeikette wieder. Während ich mich entschloss, ein kleines Erinnerungsfoto zu schießen, ertönte es um mich herum aus vielen Kehlen:

„Hass, Hass,
Hass wie noch nie
All cops are bastards
ACAB!“

Also befand ich mich gar nicht hinter der Einsatztruppe der Polizei, sondern sie lag vielmehr zwischen zwei autonomen Linien!

An der Ecke Lippmannstraße / Juliusstraße
landet eine Leuchtrakete im Staatsmob
Letztlich bleibt nüchtern festzuhalten, dass an diesem Abend eine wohl nicht unerhebliche Zahl von Gewalttouristen auf den Straßen unterwegs war.

Obwohl ich diese Art der Auseinandersetzungen aus den vergangenen Jahren kenne, muss ich zugeben, dass mich die Heftigkeit in diesem Jahr schon erschreckt hat.

Allerdings ließ sich auch die Polizei nicht lumpen. Mit welch drakonischer Brutalität die Beamten antworteten, zeigt das nächste Szenario.

Gegen Elf schlenderte ich die Max-Brauer-Allee in Richtung Schulterblatt hinunter, als ich unvermittelt Zeuge einer Festnahme wurde. Drei vollausgerüstete Gesetzeshüter drückten das Gesicht eines Mannes, so um die Mitte zwanzig, mit unvorstellbarer Rücksichtslosigkeit auf den Asphalt. Dabei legten sie ihm brutal Handschellen an. Offensichtlich verletzten die Beamten dabei sein linkes Handgelenk.

Noch nie zuvor habe ich einen Menschen vor Schmerz so schreien gehört!

Aber auch nachdem der Verhaftete in die bereitstehende „Wanne“ verfrachtet worden war, machte niemand Anstalten, seine Handfesseln zu lockern. Selbst aus dem geschlossenen Fahrzeug waren die Schmerzensschreie noch deutlich hörbar. Erst nach schier endlosen Minuten, ein Staatsdiener streifte sich erstmal aufreizend langsam seine grauen Glattlederhandschuhe über, wurde der Mann aus dem Sichtfeld der Umherstehenden auf den Boden des Autos geleitet. Wiederum von zwei weiteren Schergen gesichert, wurden die Fesseln nun endlich ein wenig gelockert. Ein ganz junger Beamter war angesichts der vielen Zeugen augenfällig nervös.
Noch paralysiert vom eben Erlebten, schämte ich mich, nicht den Mut aufgebracht zu haben, die Szene auf Video festzuhalten. Da nahm ich in meinem Rücken diffuses Gelächter wahr. Als ich mich langsam der "bar rossi" zuwandte, saß da doch tatsächlich das fröhliche Partyvolk und amüsierte sich bei bunten Cocktails. Den Protest, wessen Ursprung nicht zuletzt in ihrer Anwesenheit begründet liegt, nahm die Gute-Laune-Gesellschaft bestenfalls als schmückendes Beiwerk hin.

Mehr…?
…nicht!

Dazu möchte ich erwähnen, dass ich nicht schon immer in Schanzennähe gewohnt habe, und auch ich bin vor zwanzig Jahren mit meinen Freunden am Wochenende zum Feiern hierher gefahren. Allerdings wurde damals das Viertel noch nicht derart von hippen Läden überschwemmt. Die paar Etablissements konnte der Stadtteil sehr gut vertragen. Es gab seinerzeit das "Pickenpack", das "Stairways" und das "Kir". Und wer schick feiern wollte, der ging meinetwegen noch ins "Trinity".

Mehr…?
…nicht!

Was sich hingegen heute abspielt, ist des Guten zu viel. Alles was das Leben für die Anwohner angenehm gestaltet, verschwindet nach und nach. Dabei steigen die Mieten ins Unerschwingliche und das, was die Schanze so unverwechselbar macht, wird systematisch eliminiert.
Und damit bin ich wieder bei meiner Frage vom Sonnabendnachmittag angelangt. Muss denn eigentlich Alles behördlich genehmigt werden und warum gibt es in dieser Stadt offensichtlich keinen Raum für ein selbstbestimmtes Leben?
Ob ein runder Tisch eine Lösung offenbaren würde, bleibt zweifelhaft. Denn schließlich hat eine alternative Lebensanschauung in attraktiver und zentraler Lage keine Lobby. Hätten Gespräche den Wandel des Viertels zu stoppen, auch nur die kleinste Aussicht auf Erfolg? Was ist die Alternative? Permanente Anschläge auf alles Verhasste? Wem nützt das Alles? Wohin kommen wir, wenn niemand mehr miteinander spricht?
Eigentlich weiß es doch jeder, wenn der Dialog stirbt, gibt es keine Lösungen mehr. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Eine Beziehung scheitert, wenn sich die Partner nichts mehr zu sagen haben, Kriege brechen aus, wenn Staaten nicht mehr an den Verhandlungstisch finden.

Auf der Suche nach Antworten bat ich Peter Haß von der Buchhandlung im Schanzenviertel zum Gespräch.
Der Laden feierte in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Gar zwei Jahre länger lebt Peter bereits im Viertel. Er verfolgt sehr wachsam die Entwicklung des Viertels in den letzten Jahren.

Peter Haß (61) betreibt zusammen mit seiner Frau
seit 1979 die Buchhandlung im Schanzenviertel
Olli: Hallo Peter, wie beurteilst du die Vorkommnisse von Sonnabendnacht nachdem du einmal drüber geschlafen hast?

Peter: Also, ich muss sagen, dass ich in diesem Jahr ein anderes Gefühl hatte, als in den Jahren zuvor. Schon, was das Fest tagsüber anging, hatte ich das Gefühl, dass es sichtbar politischer war, es gab viele Transparente an den Häuserwänden oder auch quer über die Straße gespannt. So zum Beispiel in der Susannenstraße. Dort stand: „Wir wollen nicht, dass das hier zum Ballermann wird!“, an der 1000 Töpfe Baustelle stand: „Spekulanten verpisst euch!“. Dazu kam dann noch die Hausbesetzung, die vormittags in der Rosenhofstraße stattgefunden hat. Also viele politische Aktivitäten, die darauf hindeuten, dass man mit der Entwicklung im Viertel nicht zufrieden ist.

“Da kann man echt nur noch
mit dem Kopf schütteln“


Olli: Die Organisatoren des Schanzenfestes legen großen Wert auf die Selbstbestimmung und Eigenorganisation. Wo liegt das Problem, das Fest anzumelden und welche Konsequenzen hätte das?

Peter: Ich selber habe mal ein Straßenfest in der Bartelsstraße angemeldet. Was ich da an Bürokratie erlebt habe, hätte ich mir im Vorwege nie erträumen lassen. Und da habe ich dann hinterher auch gesagt, dass ich nie wieder im Leben ein Straßenfest anmelden werde. Erstmal wirst du für Alles verantwortlich gemacht, was auf diesem Fest passiert, ohne dass du eine Chance hast, das irgendwie selbst zu regulieren. Zweitens sind da echte Bürokraten am Werk. Bei dem Straßenfest wollten wir beispielsweise von Haus zu Haus ein Transparent spannen. Da wurde von uns verlangt, einen Statiker einzuschalten, um zu überprüfen, ob die Häuser dieser Belastung stand halten. Da kann man echt nur noch mit dem Kopf schütteln und fragen, was das dann noch soll? Zum Schanzenfest muss man allerdings zusätzlich sagen, dass es da auch noch andere Gründe gibt. Das hängt mit der Entwicklung der Roten Flora zusammen. Wenn man damals vor zwanzig Jahren durchgesetzt hätte, dieses riesige Musical, das heute am Holstenbahnhof ist, hier in der Schanze zu machen, dann hätte es wahrscheinlich schon da eine gewaltige Veränderung für das Viertels bedeutet. Durch die Besetzung der Roten Flora ist dann dieses alljährliche Fest entstanden. Das Ganze entwickelte dann von Jahr zu Jahr eine Art Eigendynamik und man hegte nie den Wunsch, sich damit an die Polizei oder die Behörden zu wenden.

Olli: Am Tag des Schanzenfestes hattet ihr vor eurem Laden ein Plakat mit dem Text „Wer lebt, stört.“ aufgehängt. Nun sollen beispielsweise in der Susannenstraße die Parkbuchten zugeschüttet werden, damit die Gastro noch mehr Platz für Bestuhlung hat. Die ganze Straße würde dann gewissermaßen zu einer einzigen Biermeile umstrukturiert. Ist das nicht gerade das pralle Leben?

Peter: Ja, also da wird gelebt, das kann man wohl schon so sagen. Das Problem ist nur, dass dort natürlich auch noch anders gelebt wird. Also von den Leuten, die da wohnen und eben teilweise auch Jobs haben, wo sie mal um Fünf oder halb Sechs aufstehen müssen. Dann gibt es da natürlich auch noch Familien mit kleinen Kindern. Wenn dann in den Sommermonaten bis morgens um Vier die Party abgeht, dann kommt nie die Polizei, um mal darauf zu achten, ob es irgendwie zu laut ist. Das passiert immer nur dann, wenn aus politischen Gründen ein Fest gefeiert wird und deshalb die Leute angeblich nicht schlafen können, dann ist plötzlich zu viel Lärm da. Aber der alltägliche Halli-Galli-Ballermann-Lärm wird ignoriert. Natürlich ist es toll, wenn man ausgeht und das Wetter ist schön. Dann habe ich auch Bock nachts lange noch draußen zu sitzen. Aber ich denke, solange es nur die Anwohner im Schanzenviertel waren, also ohne die ganzen Touristen, hielt sich das in Grenzen. Ich denke, wenn man selbst vor seiner Haustür sitzt und feiert, dann weiß man auch am Besten, wo Schluss ist. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn da meist schon besoffen Horden auf Junggesellenabschied durch die Straßen ziehen.

Die Buchhandlung am Schulterblatt am Nachmittag
Olli: Mittlerweile verschwinden immer mehr nützliche Läden. Zuletzt musste beispielsweise "1000 Töpfe" die Segel streichen, um immer mehr Platz für trendige Boutiquen oder szenige Bars zu schaffen. Siehst du einen Weg, diesen Trend zu stoppen?

Peter: Es ist natürlich schwierig. Zum Einen läuft das Alles auf privater Ebene, also einen Vermieter daran zu hindern, mehr Miete zu nehmen, ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Stadt hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, die ganze Entwicklung zu stoppen, wenn sie per Gesetz Verordnungen erlassen hätte, die nicht den unbegrenzten Zuzug von Gastronomie zulassen. Oder, was die Wohnungen betrifft und was die Stadt jetzt angeblich in den nächsten anderthalb Jahren vor hat, in meinen Augen übrigens zehn Jahre zu spät, ist das Verbot Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Also die Stadt hätte schon die Möglichkeiten gehabt. Aber ich glaube, es ist eher umgekehrt, dass sich Schwarz-Grün sagt, im Rahmen der wachsenden und kreativen Stadt wollen wir die Gentrifizierung. Das heißt, man will ganz bewusst diesen Austausch, dass ärmere Anwohner gehen und dafür die sogenannten „Kreativen“, also einkommensstärkere Bewohner die innenstadtnahen Viertel neu besiedeln.

“Jeder Laden für sich genommen
trägt natürlich keine Schuld“


Olli: In den Medien hört man häufig von Klagen der Betreiber kleinerer Läden, dass deren Scheiben eingeworfen werden. Häufig wird der Szene Willkür vorgeworfen. Soweit ich mich erinnere, ist bei euch allerdings noch nie etwas zu Bruch gegangen. Ist denn jeder kleine Boutiquebesitzer Synonym der „Veryuppiesierung“?

Peter: Darüber kann man sich streiten. Jeder Laden für sich genommen trägt natürlich keine Schuld. Obwohl ich mich dann doch schon manchmal wundere. Denn ich weiß, warum die alten Läden rausgegangen sind. Nämlich weil sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. Wenn denn jetzt die Neuen plötzlich die horrenden Mieten zahlen können, dann kann das ja eigentlich nur angehen, weil sie einen unwahrscheinlichen Reibach machen. Ich habe auch nichts gegen einen Brillen-Designer, der am Schulterblatt neu aufgemacht hat. Allerdings habe ich schon etwas dagegen, wenn die Läden, die da vorher drin waren und durch die Bank weg nützlich waren, verschwinden und dafür kommen nur noch neue Läden, die für die Anwohner völlig uninteressant bis ärgerlich sind. Was ich meine ist, dass ich keine sieben Brillen-Designer brauche. Und ich brauche auch keine zehn Herrenausstatter, keine zwanzig Boutiquen und erst recht nicht die 85-ste Bar. Um das nochmal zusammenzufassen: Alles was nützlich war verschwindet, alles was neu kommt ist für die Anwohner ohne Nutzen. Und dann nochmal was zu den eingeworfenen Scheiben. Ich glaube, man muss da die Wut über die gesamte Entwicklung sehen. Wie gesagt, jeder Laden für sich trägt keine Schuld. Aber sieht man alles zusammengenommen, macht das wütend. Natürlich ist es jetzt schwer einen Schuldigen zu benennen. Ein Stück weit tragen die Politiker die Schuld für diese Entwicklung.

Olli: Im April gab es von Seiten der Innenbehörde den Versuch zum Dialog. Aber der Ausdruck "runder Tisch" scheint ein rotes Tuch zu sein. Warum?

Peter: Die Frage ist, was soll dieser runde Tisch bewirken? Ich meine, was hätte er am Schanzenfest verändern sollen? Gesetzt den Fall, dass wirklich jemand das Fest anmelden würde, war eigentlich klar, was dahinter steckt. Es hatten sich beispielsweise zwei Betreiber der Altonale gemeldet. Da fragen wir uns natürlich, was die Leute von der Altonale mit dem Schanzenfest zu tun haben. Da ist klar, dass das dann ähnlich ablaufen soll, wie die Altonale, nämlich als großes Kommerzgeschäft. Dann kommen die Würstchen- und Bierwagen, die da ihr Geld machen. Wir wollen eben, dass das Schanzenfest ein überwiegend unkommerzielles Fest bleibt. Auch jetzt schon kommen professionelle Trödelhändler. Das ist schwer zu verhindern, aber ansonsten ist das zum großen Teil schon noch alles Eigeninitiative hier.

“Es gab eigentlich gar keinen Anlass“


Olli: Verständlicherweise fällt es schwer, sich auf einen Dialog einzulassen, wenn einem die Lobby fehlt. Da ist dann schon vorab klar, dass sich nichts Grundlegendes ändern wird. Dennoch ist Gewalt wohl keine Alternative, oder?

Peter: Nein, die Gewalt ist keine Alternative. Man muss dabei sehen, dass es diese Gewalt nicht seit zwanzig Jahren gibt. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Und unserer Meinung nach liegt der Ausgangspunkt eindeutig in dem überzogenen Einsatz in den ersten beiden Jahren von Seiten der Polizei. Wenn man sieht, was sonst so Alles bei irgendwelchen offiziellen Festen der Stadt toleriert wird. Hier war der Ausgangspunkt beim ersten Mal ein kleines Lagerfeuer um das herum in etwa zwanzig Leute gesessen haben. Das wurde als Anlass genommen, um hier mit Hundertschaften und Wasserwerfern das ganze Viertel wegzupusten. Das hat dazu geführt, dass sich hier ein Kreislauf etabliert hat. Das hat sich immer mehr verschärft. Und dieses Mal ist es ja nun so gewesen, dass es eigentlich gar keinen Anlass gab und die Polizei schon um Sieben Uhr abends grundlos mit Hundertschaften durch das Viertel marschiert ist. Da muss ich sagen, dass ich auch nicht in Ruhe feiern kann, wenn hinter mir behelmte Polizisten in voller Kampfmontur stehen. Das ist eindeutig eine Provokation und man hat dann wirklich den kleinsten Anlass, den man sich nur vorstellen konnte, nämlich eine fliegende Flasche auf die leere(!) Bühne, genommen, um dann das ganze Schanzenviertel praktisch leer zu räumen und abzusperren. Das sich daraufhin immer mehr sogenannte normale Kneipenbesucher auf die Seite der Protestierer gesellt haben, ist nicht verwunderlich. Es gibt immer mehr neutrale Beobachter, die sagen, es sei unglaublich, was die Polizei hier abgezogen hat.

“Das stimmt einfach nicht!“


Olli: Also ich hatte den Eindruck, dass es ungleich heftiger war, als in den vergangenen Jahren. Mir schien, dass auch sehr viele Gewalttouristen unterwegs waren.

Peter: Ja, also ich habe auch gehört, dass um die 80 Leute aus Berlin dagewesen sein sollen. Das ist klar, weil es nun in den vergangenen Jahren auch einen gewissen Ruf erlangt hat. Ich habe gehört, dass es jetzt sogar schon international in den Kalendern vermerkt ist. So fahren am 1. Mai auch viele Leute nach Berlin, das wird man nicht verhindern können. Auf der anderen Seite kann man keinesfalls sagen, dass das hier nun Alles etwas Inszeniertes ist, von Leuten, die mit der Schanze gar nichts zu tun haben. Das stimmt einfach nicht! Ich kenne sehr viele Leute aus dem Schanzenviertel, die sagen: „Dieses Fest lassen wir uns nicht nehmen!“, und die diese Art von Polizeieinsatz einfach als provokant empfinden. Und deshalb sind diese Leute verständlicherweise sehr, sehr wütend. Man kann also nicht sagen, es seien jetzt eventorientierte Jugendliche aus Reinbek, oder so. Mag natürlich sein, dass auch solche Leute da sind, aber es sind definitiv ganz viele Menschen aus dem Schanzenviertel. Es sind ja am Sonnabend auch durchaus richtig heftige Sachen passiert. Hast du von der Sache mit dem "Jolly Roger" etwas mitbekommen?

Olli: Nein, bisher noch nicht. Erzähle doch mal!

Peter: Nachts zwischen Zwei und Drei sind wohl ein paar Flaschen geflogen, aber eben nicht vom "Jolly Roger" aus. Der Laden war voll und vor der Tür standen auch ’ne Menge Leute. Es waren also Leute auf der Budapester Straße, die mit Flaschen geworfen haben. Und dann ist die Polizei mit einem Wasserwerfer um die Ecke gekommen und hat volle Kanne in Kopfhöhe auf die Leute geschossen. Die Leute bekamen Panik und versuchten ins Jolly zu flüchten. Aber da passten natürlich gar nicht mehr alle rein. Dabei ist dann wohl auch noch die Scheibe einer darüber liegenden Wohnung zu Bruch gegangen. Danach haben sie dann unter massiven Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray versucht, den Laden zu stürmen. Dabei haben sie bei einer Person wohl noch die komplette obere Kauleiste entfernt. Das muss wohl richtig heftig zugegangen sein.

Olli: Da bin ich erstmal sprachlos! Peter, nichts desto trotz danke ich dir für dieses Interview.

Quelle: Bild

Einen wirklichen Lösungsansatz hat Peter also leider auch nicht parat. Somit bleibt lediglich festzustellen, dass die Politik, gewollt oder ungewollt, vor Jahren versäumt hat, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, bleibt abzuwarten.

Mehr…?
…nicht!



So, so you think you can tell Heaven from Hell,
blue skies from pain.
Can you tell a green field from a cold steel rail?
A smile from a veil?
Do you think you can tell?
And did they get you to trade your heroes for ghosts?
Hot ashes for trees?
Hot air for a cool breeze?
Cold comfort for change?
And did you exchange a walk on part
in the war for a lead role in a cage?
How I wish, how I wish you were here.
We're just two lost souls swimming in a fish bowl, year after year,
Running over the same old ground.
What have you found? The same old fears.
Wish you were here.
Pink Floyd, Wish you were here, 1975




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