Freitag, 25. März 2011
Endlich Feierabend, endlich Wochenende! Ich sitze in der S-Bahn und folge dem Gespräch des Pärchens neben mir. Es geht um den FC St. Pauli.

Er ist früher häufiger hingegangen und hat sogar mal ein paar Jahre lang eine Dauerkarte besessen. Mittlerweile fällt ihm der ganze Ultra-Hokuspokus aber auf die Nerven. Sie war nur zweimal da. Generell gefallen ihr keine laut grölenden, betrunkenen Männerhorden. Aber als sie vor zwei Jahren nach Hamburg kam, ist sie halt mal mitgegangen. Den ach so anderen Verein muss ja jeder Zugezogene mal erlebt haben.

Und ruck zuck ist die gute Laune des Wochenendes auch schon fast wieder verflogen. Nein liebe Touristen und Neu-Hamburger, ihr müsst nicht zum Gaffen ans Millerntor kommen. Ihr verkörpert das klassische Event-Klientel, das mir so unwiderstehlich auf den Sack geht und mich ab und an die sportliche Unterklassigkeit herbeisehnen lässt.

Bei genauerem Hinsehen muss ich allerdings Nachsicht walten lassen. Schließlich sind wir ja alle irgendwie und irgendwann mal am Millerntor gelandet. Sei es der Banker, der von seinen Geschäftspartnern eingeladen wurde, sei es der Punker, der eben mal im Stadion soff, statt an der Tanke auf dem Kiez. Ein erstes Mal gab es für jeden. Für viele war es nicht mal der FC St. Pauli der ihnen den ersten Kontakt zum Fußball beschert hat.

Nun kann ich es nicht mit Zahlen belegen – und wahrscheinlich hat auch noch niemand eine solche Statistik erhoben – aber gefühlt kenne ich keine Fanszene, deren Verein für ihre Mitglieder nicht mindestens die zweite Station in ihrem Fandasein darstellt, wie die des FC St. Paulis. Viele meiner Freunde haben früher zu anderen Vereinen gehalten. Sei es Aachen, Bremen, Freiburg, Schalke oder Gladbach, um nur einige zu nennen. Warum nun soviele Leute Nick Hornbys These, man suche sich seinen Verein nicht aus, er wird einem gegeben, widerlegen, wer weiß? Ohne Zweifel aber stellt sich unter den Wechslern die Fraktion aus dem Volkspark als die mit Abstand größte dar. Und da kann ich nur schildern, wie es bei mir war.

Ich selbst hatte in den Saisons 82/83 und 83/84 eine Dauerkarte für Block E in der alten Westkurve. Nun will ich mich hier nicht moralischer darstellen, als ich wirklich bin. Es gab damals unterschiedliche Gründe für mich, nicht mehr zum Fußball zu gehen. Allerdings waren es nicht die rassistischen und sexistischen Attitüden, die damals in den Kurven Gang und Gebe waren. Eigentlich war sogar das Gegenteil der Fall. Das die Gesellschaft provozierende Gebaren ließ mich zu den älteren Kuttenträgern aufschauen und verlangte mir groteskerweise sogar etwas wie Respekt ab. Das dadurch Minderheiten diskriminiert oder gar bedroht wurden, habe ich mit 12 oder 13 Jahren einfach noch nicht geblickt.


Es war dann mein Opa, der mich darauf aufmerksam machte, dass St. Pauli die Aufstiegsrunde zur 2. Bundeliga spielte und fragte, ob wir da nicht mal hin wollten. Seit dem 2-1 Sieg gegen den VfB Oldenburg an diesem 24. Mai 1986 ist es um mich geschehen. Damals gab es die Rivalität zwischen den Stellingern und uns in der heute bekannten Form allerdings noch nicht. Die sollte sich erst mit unserem Aufstieg 1988 in die Bundesliga entwickeln. Viele der Zuschauer hegten Sympathien für beide Vereine und besuchten nach wie vor parallel die Spiele im Volkspark. Aufgrund der großen Schnittmenge auf den Rängen wunderte sich zunächst auch niemand über Lieder von den „Zehn nackten Negern mit Hosenträgern“ oder ähnlichem.

Was also machte den Unterschied? Wahrscheinlich war es ganz profan. Fußball am Millerntor hatte etwas amateurhaftes. In der Halbzeit wanderte man in die gegenüber liegende Kurve, um stets hinter dem gegnerischen Keeper stehen zu können. Dieser Verein mit dem charmant unprofessionellen Flair konnte in den bezahlten Fußball aufsteigen. Underdog-Feeling eben, mehr war es wohl gar nicht.

Was aber ein wenig irritierend anmutete, war die von Spiel zu Spiel anwachsende Gruppe von Punks, die sich auf der Gegengeraden versammelte und an der man beim Weg auf die andere Seite in der Pause vorbei musste. Diese kleine Fraktion, die sich um die erste Totenkopf-Fahne scharrte, brachte Ideale ins Stadion, die es in den anderen Fußballstadien nicht gab. Nach und nach verbreiteten sich diese Werte und die Leute begannen darüber zu sinnieren, ob Gegnerschmähung und Diskriminierung zwangsläufig Teil des Fußballs sein mussten. Das linke Image war geboren! Trotzdem dauerte es noch bis in die frühen 1990er Jahre, bis die letzten rechten Gruppierungen begriffen hatten, dass das Millerntor ihnen keinen Platz bietet. Die Älteren unter euch werden sich erinnern, dass es bei fast jedem Heimspiel zu mehr oder minder heftigen physischen Auseinandersetzungen mit Fan-Clubs wie beispielsweise „St. Pauli United“ kam. Der Sänger des oben eingebetteten Videos formulierte es einst recht treffend: „Wir haben die Nazis nicht durch sozial-pädagogisches Gequatsche aus dem Stadion vertrieben.“ So sieht’s aus. Ob es aber der einzig gangbare Weg war, bleibt offen. Denn die Gesinnung hat ihnen wohl auch niemand aus den hohlen Köpfen geprügelt. Da bedarf es dann doch wieder dem Engagement der Sozialpädagogen.

Wer heute die Verankerung von Antirassimus und Antisexismus in der Stadionordnung als völlig normal erachtet, der sollte sich vergegenwärtigen, dass es auch beim FC St. Pauli Menschen brauchte, die dafür hart gekämpft haben.

Dass sich diese Ideale nicht als Status Quo konservieren lassen, sondern stetig gelebt werden müssen, sollte auch jedem klar sein. Da ich seit einigen Jahren meinen Platz in Block 1 gefunden habe, bekomme ich vom asozialen Verhalten mancher Millerntor-Besucher wenig bis gar nichts mit. Bloß auswärts wundere ich mich ein ums andere mal, wer sich da so alles im Umfeld des magischen FCs tummelt. Die Debatten über assige Prollerei innerhalb der Fanszene flammen indes stets aufs Neue auf. Selbst T-Shirts wie dieses oder jenes sollen schon in unserem Stadion gesehen worden sein. Schlimm, dass so etwas vorkommt. Viel schlimmer aber, wenn niemand etwas dagegen tut.

Die Frage, wo sich der FC St. Pauli in ein paar Jahren widerfindet, kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, dass früher nicht alles gut war und heute nicht alles schlecht ist. Wichtig bleibt, dass wir aufbegehren, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht.

So wie wir es Ende der Achtziger gegen Nazis getan haben, so wie wir es zuletzt mit dem Jolly Rouge gegen die zunehmende Kommerzialisierung getan haben und so wie wir es in all den Jahren dazwischen gegen den Bau eines Super-Duper-Sport-Domes oder für die Rechte von Auswärtsfans getan haben. Über die Form des Widerstandes wird es immer Diskussionen geben. Aber das ist legitim und von meiner Seite aus sogar erwünscht.

Dann können sich meinetwegen auch die Touristen und Neu-Hamburger an diesen verrückten, linken Fußballfans weiden. Vielleicht kommt die Dame aus der S-Bahn ein drittes Mal wieder und entdeckt noch etwas anderes als besoffene Proleten. Und wer weiß, eventuell taucht der eine oder andere ja auch ein wenig tiefer ein und wird Teil unserer einzigartigen Szene.



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